Der Aufstand
öffnete den Deckel des Behälters. Ihr wilder, entsetzter Schrei erfüllte den Raum, als er hineingriff und das kalte Kreuz berührte. Mit zittriger Hand zog er es heraus.
«Nein!»
, schrie Dec. Er sprang von der Couch auf und warf sich in seiner Verzweiflung Joel entgegen, doch der trat rasch zur Seite, und der Junge krachte wimmernd auf den Boden.
Noch bevor das Kreuz aus dem Futteral war, erstarb Kates Schrei auf ihren Lippen. Joel spürte eine plötzliche Wärme in seiner Faust, so, als pulsierte durch das Kreuz eine unsichtbare Energie. Die Macht des Kreuzes traf sie mit voller Kraft. Und wie ein Detail aus einem Albtraum löste sie sich vor seinen Augen einfach auf.
Dann war es vorbei. Ihr letzter Schrei schien in der Stille widerzuhallen. Joel blickte grimmig hinab auf die traurigen Überreste auf dem Fußboden, die einmal ein schönes, glückliches junges Mädchen gewesen waren, und schon zum zweiten Mal in dieser Nacht stieg ihm ein galliger Geschmack in die Kehle.
Dec rappelte sich auf. Er war aschfahl im Gesicht und zitterte am ganzen Leib. «Sie haben sie getötet.»
«Was schon tot ist, kann man nicht töten», sagte Joel ruhig. «Ich habe nur mein Versprechen gehalten und ihr die Freiheit geschenkt.»
Dec nickte langsam, schluckte schwer und betastete vorsichtig die Wunde auf seinem Hals. Dann blickte er Joel an. «Ich werde auch einer von denen, stimmt’s?»
Joel schaute auf das Kreuz in seiner Hand und hielt es Dec hin. «Fass es an», forderte er ihn auf.
Dec streckte zögernd die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über das Kreuz.
«Nimm es», sagte Joel leise, und Dec nahm es fest in die Hand.
Nichts geschah.
«Ich denke, du wirst schon wieder», meinte Joel.
Dec starrte auf das Kreuz in seiner Hand und blinzelte verwirrt. «Sie hat mich gebissen und mein Blut getrunken.»
«Ich weiß auch nicht genau, wie das funktioniert, Dec, aber sie ist gerade erst selber verwandelt worden. Vielleicht waren ihre Kräfte noch nicht stark genug. Aber wenn sie noch ein paar Mal zu dir gekommen wäre und noch ein bisschen mehr von dir getrunken hätte, dann …» Er zuckte mit den Schultern. «Auf jeden Fall hast du verdammtes Glück gehabt.» Joel meinte bereits, eine Veränderung in Decs Gesicht zu erkennen – fast so, als wäre auch er befreit worden, befreit von einer Art hypnotischer Kraft, die ihn gefangen gehalten hatte wie eine Fliege in einem Spinnennetz. Joel legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Es tut mir wirklich leid, Dec. Du warst sehr tapfer. Ich bin stolz auf dich.»
Dec wischte sich mit dem Ärmel die Tränen weg. Dann verzog er plötzlich angewidert das Gesicht.
«Ich war schwach», schniefte er. «Ich hätte sie überhaupt nicht hier reinlassen dürfen.» Er gab Joel das Kreuz zurück. «Was ist das eigentlich für ein Ding?»
«Nur ein Mitbringsel von einer meiner Reisen», antwortete Joel.
«Und wo wollen Sie jetzt hin?»
«Ich bringe dich erst mal nach Hause zu deiner Familie. Die machen sich nämlich Sorgen um dich. Und danach werde ich dem ganzen Spuk ein für alle Mal ein Ende bereiten.»
«Nehmen Sie mich mit. Ich möchte gerne dabei sein, wenn Sie das Arschloch kriegen, das meiner Kate das angetan hat.»
Joel schüttelte den Kopf. «Ich habe achtzehn Jahre auf diesen Augenblick gewartet und muss das jetzt alleine durchziehen.»
[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 70
E s war ein trüber Nachmittag, und die Wolken hingen niedrig über dem Flughafengebäude, als Alex in die feuchte Brüsseler Luft trat. Sie warf ein Solazal ein. Im Röhrchen waren nur noch drei weitere Tabletten.
Sie hatte erwartet, dass Harry Rumble in der Flughafenhalle auf sie warten würde, doch dem war nicht so gewesen. Dann sah sie den glänzenden schwarzen Mercedes-Geländewagen mit verspiegelten Scheiben. Die hinteren Türen gingen gleichzeitig auf, und zwei Gestalten, ohne Zweifel VIA -Agenten, kamen über den Parkplatz auf sie zu. Der eine war groß und hatte dünnes weißes Haar, der andere war dunkelhaarig und rotgesichtig. Beide trugen lange schwarze Mäntel über grauen Anzügen und sahen darin wie schlechte Imitationen von Kriminalpolizisten aus. Auf ihren Lippen lag nicht die geringste Spur eines Lächelns.
«Wo ist Rumble?», fragte sie die beiden.
Sie antworteten nicht. Achselzuckend folgte sie ihnen zum Wagen. Der Fahrer hatte den Motor laufen lassen und schaute nicht im Rückspiegel zu ihnen zurück, als sie einstiegen. Alex saß zwischen den beiden mürrisch
Weitere Kostenlose Bücher