Der Aufstand
Wangen wischen musste. Dann, als er zu Ende gelacht hatte, warf Joel seine Vorsicht über Bord und fragte ihn versuchsweise nach Vâlcanul.
Er merkte auf der Stelle, dass er offenbar ins Schwarze getroffen hatte, denn Gheorghe machte sofort dicht. Kein Gelächter mehr, keine Scherze, nur noch betretenes Schweigen. Bei anderer Gelegenheit hätte Joel es vielleicht bedauert, die kameradschaftliche Atmosphäre zwischen ihnen so abrupt zerstört zu haben, aber sein Puls raste, und seine Hände zitterten, so aufgeregt war er. Er hatte keine Ahnung, auf welchem Weg er sich befand, wusste aber, dass es der richtige war.
Nicht lange danach erkannte er durch die Bäume im Scheinwerferlicht des Lastwagens das moosbedeckte Dach eines Blockhauses, dann das eines zweiten und schließlich den Turm einer alten Holzkirche. Gheorghe machte den Eindruck, als wollte er lieber allein weiterfahren, und das kleine Dorf erschien Joel ein geeigneter Ort zu sein, um seine Mission auf eigene Faust fortzusetzen. Sie trennten sich freundschaftlich, aber Gheorge war ganz offensichtlich sehr erleichtert, den seltsamen Fremden loszusein.
Joel machte sich auf den Weg in die Mitte des winzigen Dorfes. Die Temperatur war während seiner Fahrt mit Gheorghe um ein paar Grad gefallen, und er steckte die Hände im Gehen tief in die Taschen. Aus den Blockhäusern fiel Licht auf die unbefestigte Straße, und Joel konnte den Holzrauch aus ihren Schornsteinen riechen. Dann drang aus der Dunkelheit Hufgetrappel zu ihm, und nur wenige Augenblicke später fuhr in der Gegenrichtung eine Pferdekutsche mit einer Ladung Brennholz an ihm vorbei. Obwohl er nicht allzu weit vom Touristenort Sighi ș osara und nur ein paar Fahrstunden vom Gewirr der modernen Großstadt Bukarest entfernt war, kam Joel sich vor wie in einer anderen Welt und einer anderen Zeit.
Licht und Musik zogen ihn zum offenbar einzigen Wirtshaus des Dorfes. Ein paar Gäste starrten ihn an und beäugten seinen Rucksack und sein Futteral, als er in die Gaststube trat. Er musste sich ducken, um nicht an die niedrigen Deckenbalken zu stoßen. Ihm war nicht nach Bier, und so ließ er sich für ein paar Lei einen Kaffee bringen. Während er auf einem Hocker an der Bar daran nippte, nahm er Blickkontakt zum Wirt auf und wagte es noch einmal, den Namen Vâlcanul in den Mund zu nehmen. Die einzige Reaktion darauf waren ein paar merkwürdige Blicke, doch davon ließ er sich nicht beirren. Wieder etwas optimistischer, verließ er das Wirtshaus und sprach die ersten Leute an, denen er draußen begegnete – zwei ältere Frauen, die wie Schwestern aussahen.
Als die Frauen das Wort Vâlcanul hörten, warfen sie einander ängstliche Blicke zu und hasteten an ihm vorbei. Joel war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt verstanden hatten, und ging weiter durch die Straße auf der Suche nach jemand anderem, den er fragen konnte, als ihn ein Ruf von hinten innehalten ließ. Er drehte sich um und sah, wie ein alter Mann mit einem Gehstock auf ihn zuhumpelte, während die beiden älteren Frauen aus sicherer Entfernung zuschauten.
Der Alte hatte eine zottige, schlohweiße Mähne, eine Haut wie gegerbtes Leder und einen zahnlosen Mund. Er sprach noch weniger Englisch als Gheorghe, doch das Funkeln in seinen Augen transportierte eine eindeutige Botschaft:
Warum suchen Sie nach Vâlcanul?
Dann existierte dieser Ort also wirklich. Joel versuchte gerade, seine nächste Frage zu formulieren, als der Alte mit einer knochigen, aber verblüffend kräftigen Hand seinen Arm packte und mit seinem Stock auf eines der Häuser zeigte. Er schien zu wollen, dass Joel mit ihm zu diesem Haus zurückging. Joel folgte ihm. Wohin sollte das alles noch führen?
Aus der kunstvoll gezimmerten Holztür des Hauses trat eine Frau, eingerahmt vom Licht aus dem Flur. Sie war um die fünfzig und wies eine starke Ähnlichkeit mit dem alten Mann auf, auch wenn sie schwarzes Haar und noch einen vollständigen Satz kräftiger weißer Zähne hatte: ganz ohne Zweifel seine Tochter. Ihr Vater brabbelte ein paar Sekunden lang in schnellem Rumänisch auf sie ein, woraufhin sie Joel besorgt ansah.
«Sind Sie Amerikaner?», fragte sie auf Englisch. Als sie seine Verblüffung bemerkte, fügte sie hinzu: «Ich bin Lehrerin.»
«Ich komme aus Großbritannien», erklärte Joel. «Und ich suche nach –»
«Ich weiß, wonach Sie suchen», unterbrach ihn die Frau. «Aber warum wollen Sie diesen Ort finden?»
«Können Sie mir sagen, wo er ist?»
«Sie
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