Der Aufstand
Felswand zu kommen, doch der abgestorbene Baum gab ein beunruhigendes Knacken von sich.
Schlechte Idee
, dachte er, als er da in der Luft baumelte. Noch einmal knackte der Baum, bevor sein langes, knarrendes Ächzen in ein splitterndes Knistern überging.
Und eine Sekunde später gab der Baum nach. Diesmal entfuhr Joel ein spontanes
«Scheiße!»
, als er spürte, wie er fiel. Er schloss die Augen.
Er stöhnte vor Schmerz auf, als er mit dem Gesicht nach unten auf den Felsen traf.
Langsam wagte er es, die Augen wieder zu öffnen. Er lag keineswegs als Klumpen blutigen Fleisches und aufgeplatzter Gedärme auf dem Talboden, sondern war erstaunlich lebendig und noch beruhigend weit oben. Noch beruhigender war die stabile Steinplatte, auf der er lag. Unter heftigen Schmerzen in seiner aufgerissenen Schulter rappelte er sich auf und knallte dabei mit dem Kopf gegen etwas Hartes über ihm.
Joel war auf einem breiten Vorsprung gelandet, der von einer Felsnase überragt wurde und hinter dem sich tatsächlich so etwas wie eine Höhle eröffnete, die ins Innere des Berges zu führen schien. Er rieb sich seinen angeschlagenen Kopf und tastete sich in die Kammer vor in der Hoffnung, einen Weg zu finden, der ihn hinauf Richtung Burgmauer oder wenigstens zu irgendeiner günstigeren Stelle für einen erneuten Aufstieg führte.
Plötzlich trat er in der Dunkelheit gegen etwas Hartes. Er dachte zunächst, es wäre ein größerer rundlicher Stein, aber als er sich bückte und die Hand ausstreckte, ertastete er plötzlich Augenhöhlen. Mit einem Keuchen stieß er den Schädel weg und sprang zurück an die Wand der Kammer.
Er kramte ein Feuerzeug hervor und machte es an. Und da sah er sie: nicht bloß ein Schädel, sondern ein ganzer Berg von Totenköpfen. Es mussten Hunderte sein.
Nun wurde ihm klar, wo er sich befand. Das musste einst ein Geheimgang gewesen sein, der aus der Burg herausführte – oder vielleicht auch ein Tunnel, den Angreifer gegraben hatten, um in die Festung hineinzugelangen. Falls es vor langer Zeit hier eine Treppe oder Brücke gegeben hatte, so war diese längst eingestürzt oder verrottet. In den Jahrhunderten danach hatte der Tunnel jedenfalls einem anderen Zweck gedient.
Joel stand in der Abfallgrube, in die die Vampire die sterblichen Überreste ihrer Opfer warfen.
Es waren nicht Hunderte von Schädeln, an denen Joel auf seinem Weg durch den dunklen Korridor vorbeistolperte, sondern Tausende. Der Tunnel führte über grobe, in den Fels gehauene Stufen steil nach oben. Joel stieg immer höher hinauf, begleitet von den Geräuschen tropfenden Wassers und seiner eigenen Atmung.
Immer weiter schraubten sich die Stufen nach oben. Auf dem Boden lagen weitere Schädel sowie Überreste von Brustkörben und Gliedmaßen verstreut. Bald nahm Joel sie kaum noch wahr, genauso wenig wie den Schmerz in seiner Schulter und das Blut, das noch immer durch sein Sweatshirt sickerte.
Und dann war er schließlich oben. Der Ausstieg wurde durch eine Metallplatte versiegelt, die auf einem kreisrunden Schacht aus Beton lag, in den als Steighilfen eiserne Sprossen eingelassen waren. Nach kurzem Zögern stieg Joel hinauf und packte die verrosteten Griffe, die am Metall angebracht waren. Er drückte mit all seiner Kraft. Die Platte bewegte sich ein paar Zentimeter zur Seite, und pulvriger Schnee rieselte ihm ins Gesicht. Mit einem zweiten Versuch gelang es ihm, die Öffnung so weit zu vergrößern, dass er hinausklettern konnte.
Er war im Innenhof des Schlosses.
Der Schnee hatte zugenommen, während er den Tunnel durchquert hatte; die weiße Pracht bedeckte bereits vollständig das Pflaster und wurde gegen die Innenseiten der Mauern geweht. Das Schneegestöber wirbelte durch das starke Licht der Halogenstrahler, die den Innenhof ausleuchteten. Auch die beiden verbeulten vierradgetriebenen Fahrzeuge, die knapp innerhalb des Burgtors standen, waren bereits von einer weißen Schicht bedeckt. Joel wusste zwar von Gabriel Stones Vorliebe für Autos, doch diese hier wollten nicht recht zum Vampir passen. Sie mussten den Männern gehören, die er angeheuert hatte, damit sie ihn bewachten und Aufträge für ihn erledigten.
Hastig nahm er den Rucksack ab, holte das Kreuz heraus und schob es in seinen Gürtel. Dann warf er den leeren Rucksack zurück in das Loch, bevor er so geräuschlos wie möglich die Platte wieder an Ort und Stelle schob.
Wenige Meter von ihm entfernt entdeckte er einen schmalen Bogengang und dahinter einen
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