Der Auftrag
der Himmel, wie sie das machen.«
»Und wie kann ich dabei behilflich sein?«, fragte Orchan mit gequälter Stimme.
»Du hast doch im ganzen Land deine Verbindungen. Du kennst fast jedes Dorf, kennst die Dorfvorsteher, treibst Handel mit ihnen, und sie kennen dich. Also vertrauen sie dir. Du erfindest ein paar hübsche Märchen, und sie werden dir die Knaben gern mitgeben.«
»Märchen?«
»Ja. Erzähle ihnen, was für eine goldene Zukunft sie in Margan erwartet. Bei Nirgal, du wirst doch ein bisschen Fantasie aufbringen können, ihr Kaufleute beschwindelt doch ständig eure Kunden.«
Orchan sank in sich zusammen. Ihm fiel vieles ein, was er hätte sagen können, aber vor Borrak war jedes Widerwort ein Todesurteil. Er hörte ihn förmlich säuseln: ›Wenn du dich weigerst – dein Pfahl wartet schon auf dich.‹
»Ich halte das für eine äußerst kluge Idee«, krächzte er, räusperte sich und fuhr mit gewöhnlicher Stimme fort: »Zumal König Nemarthos für sie ein Vermögen bezahlen will. Wie gut, dass jemand auf diese Möglichkeit gekommen ist, König Doron vor dem Ruin zu bewahren.«
Borrak war dermaßen von sich eingenommen, dass er Orchans Ironie nicht einmal bemerkte. Er schlug sich auf die Brust. »Ich war es! Ich habe es dem König vorgeschlagen, und er war begeistert.«
»Darf ich Euch dazu gratulieren?«
»Danke, danke, mein Freund. Manche denken, der Borrak, der hat es nur in den Armen, aber sein Kopf ist heller als viele glauben.«
»Das habt Ihr mir soeben bewiesen.«
»Der König denkt an hundert Knaben. Die müssten leicht zu beschaffen sein. Wenn es mehr werden, dann umso besser.«
Obwohl es ihm widerstrebte, musste sich Orchan wohl oder übel mit dem Projekt befassen. Er zwang sich, praktisch zu denken. »Bekomme ich Leute? Mit meinen allein ist es nicht zu schaffen.«
»Du kannst Gehilfen anwerben. Zahle ihnen einen geringen Lohn, alle deine Auslagen werden dir erstattet, sofern du ehrlich abrechnest.«
»Ein Problem gäbe es noch«, wagte er zaghaft einzuwerfen.
»Ein Problem?« Borrak runzelte die Stirn. »Was für eins?«
»Diese Knaben – bitte versteht mich nicht falsch, aber meine Neigungen gehen in eine andere Richtung. Ich möchte nicht taugen zur Beurteilung, welcher von ihnen Gnade finden könnte vor den Augen König Nemarthos’.«
»Hm, da magst du recht haben. Ich kenne da einen Achladier, im Grunde ein völlig wertloses Geschöpf. Hat es geschafft, sich unter den Fittichen Suthrannas zu verkriechen. Aber was hübsche Knaben angeht, wird er nicht fehlgehen. Er soll dich begleiten. Ich werde mit Suthranna sprechen.«
9
Der Schreiner war gefunden. Verhärmt, zitternd, die abgearbeiteten Hände im Schoß verkrampft, saß seine Frau Elmyra vor dem himmlischen Wesen im goldenen Gewand, das in überirdischer Schönheit ernst auf sie hinab blickte. Sie befanden sich in der großen runden Halle des Sonnentempels zu ebener Erde. Unter ihren Füßen spiegelnder, mehrfarbiger Marmorboden, die sich darüber wölbende Decke eine goldfarbene Sonne, eingefasst von dunklem Blau, und ringsum schlanke Säulen, hinter deren Schatten sich zahlreiche Nischen mit Ruheplätzen verbargen. In einer dieser Nischen hatte sie Platz nehmen dürfen. So viel Pracht raubte ihr fast die Sinne. Ihre Augen in dem knochigen Gesicht wirkten riesengroß und flackerten ängstlich. Bevor sie über die Schwelle getreten war, hatte ihr der junge Mann, mit dem sie gekommen war, eingeschärft, den Priester mit Erhabener anzureden.
Er hob zwei Finger, und ihre Blicke folgten ihnen gebannt und voller Furcht.
»Was hier gesprochen wird, hören nur ich und die Götter, Frau. Du wirst niemandem davon erzählen, auch nicht deinem Mann. Verflucht sollst du sein und an deiner verdorrten Zunge ersticken, wenn du ein Wort darüber verlierst.«
»Ich schweige«, flüsterte sie; ihr Atem ging stoßweise.
Der Priester nickte. »Du bist Elmyra, ehemalige Sklavin im königlichen Palast, freigekauft von Kaci, dem Schreiner?«
Elmyra nickte.
»Antworte laut und deutlich. Du musst keine Furcht haben. Dir geschieht nichts.«
»Ja Erhabener, die bin ich.«
»Vor vielen Jahren befand sich noch eine andere Sklavin dort, sie wurde Nachtblume genannt. Hast du sie gekannt?«
»Oh ja. Das arme Ding. Ich kannte sie gut. Schön war sie, und der König rief sie oft zu sich. Aber dann …«
»Was geschah dann?«
Elmyra senkte den Kopf. »Dann geschah das, was alle fürchteten, was Nachtblume fürchtete. Sie wurde
Weitere Kostenlose Bücher