Der Auftraggeber
ausgestellter New Yorker Führerschein, eine Visa-Kreditkarte, eine Kundenkarte eines Videoverleihs, mehrere Quittungen und eine mit einem Clip zu befestigende Ausweiskarte. Kemel hatte gute Arbeit geleistet.
Tariq sah sich das Foto genau an. Emilio Gonzales war ein Mann mit beginnender Glatze, graumeliertem Haar und buschigem Schnauzbart. Sein Gesicht war etwas voller als das Tariqs, aber das ließ sich leicht mit Wattebäuschen in den Backen ausgleichen. Er nahm die Kleidungsstücke heraus und legte sie sorgfältig über eine Sessellehne. Dann griff er nach dem letzten Gegenstand im Koffer - ein Lederetui mit Toilettensachen - und ging damit ins Bad.
Tariq legte das Toilettenetui aufs Waschbecken und stellte das Foto von Emilio Gonzales auf die Ablage unter dem Spiegel. Als er jetzt sein Spiegelbild betrachtete, erkannte er sich kaum wieder: dunkle, fast schwarze Ringe unter den Augen, eingefallene Wangen, blasser Teint, blutleere Lippen. Das lag zum Teil am Schlafmangel - er wußte gar nicht mehr, wann er zuletzt geschlafen hatte -, aber vor allem an seiner Krankheit. Der Tumor war dabei, ihn zugrunde zu richten: Gefühllosigkeit in Händen und Füßen, Ohrensausen, unerträgliche Kopfschmerzen, Erschöpfungszustände. Er hatte nicht mehr lange zu leben. Er hatte diesen Ort, diesen Augenblick der Geschichte erreicht, aber ihm blieb nicht mehr viel Zeit, seinen Plan auszuführen.
Er klappte das Toilettenetui auf, nahm eine Schere und einen Rasierapparat heraus und machte sich daran, sein Haar zu schneiden und auszudünnen. Er brauchte fast eine Stunde, bis er mit seiner Erscheinung zufrieden war.
Die Verwandlung war erstaunlich. Mit graumeliertem Haar, Schnauzbart und Watte in den Backentaschen sah er dem Mann auf dem Foto verblüffend ähnlich. Tariq wußte jedoch, daß seine schauspielerische Leistung ebenso wichtig war wie die äußerliche Ähnlichkeit. Benahm er sich wie Emilio Gonzales, würde kein Polizist oder Sicherheitsbeamter ihn eines zweiten Blickes würdigen. Benahm er sich dagegen wie ein Terrorist bei einem Selbstmordunternehmen, würde er in einem amerikanischen Gefängnis sterben.
Tariq ging ins Wohnzimmer, legte seine Sachen ab und zog die Arbeitskleidung des Obers an. Dann kehrte er ins Bad zurück, um einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen. Als er sein ausgedünntes Haar über die neue kahle Stelle kämmte, fühlte er sich vage deprimiert. In einem fremden Land zu sterben, mit dem Namen und dem Gesicht eines anderen Mannes. Aber vermutlich war das der logische Abschluß des Lebens, das er geführt hatte. Ihm blieb nur noch eines zu tun: Er mußte dafür sorgen, daß er sein Leben nicht für eine verlorene Sache vergeudet hatte.
Er ging ins Schlafzimmer.
Als er eintrat, fuhr Leila erschrocken auf und riß ihre Pistole hoch.
»Ich bin's«, sagte er leise auf arabisch. »Leg die Pistole weg, bevor sie losgeht und jemanden verletzt.«
Sie tat, was er verlangte, dann schüttelte sie den Kopf.
»Phantastisch! Ich hätte dich nicht wiedererkannt.«
»Das ist der Zweck der Übung.«
»Du hast offensichtlich deinen Beruf verfehlt. Du hättest Schauspieler werden sollen.«
»So, nun ist alles vorbereitet. Jetzt brauchen wir nur noch Gabriel Allon.«
Tariq sah zu Jacqueline hinüber. Sie lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem kleinen Bett, an das sie mit vier Paar Handschellen gefesselt war; ein breites Klebeband verschloß ihren Mund.
»Für mich war interessant, daß du in meinem Hotelzimmer in Montreal binnen weniger Minuten den Anrufbeantworter in deiner Londoner Wohnung abhören wolltest. Als ich noch für die PLO gearbeitet habe, haben wir entdeckt, daß die Israelis weltweit praktisch jeden Anruf abhörsicher in ihre Zentrale in Tel Aviv umleiten können. Das haben sie offenbar auch mit deinem Telefon in London gemacht. Mit diesem Anruf hast du ihnen gemeldet, daß du im Hotel Queen Elizabeth in Montreal bist.«
Tariq setzte sich auf die Bettkante, strich Jacqueline sanft die Haare aus dem Gesicht. Sie schloß die Augen und versuchte sich seiner Berührung zu entziehen.
»Ich werde diese Einrichtung noch einmal nutzen, um Ari Schamron und Gabriel Allon irrezuführen. Auch Leila ist keine schlechte Schauspielerin. Sobald ich zum Losschlagen bereit bin, ruft Leila deine Nummer in London an und gibt sich für dich aus. Sie meldet deiner Zentrale, wo ich bin und was ich vorhabe. Die Zentrale alarmiert Schamron, der sofort Gabriel Allon an den Tatort schickt. Da ich
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