Der Auftraggeber
bedaure er sie. Sie wußte, worauf er es anlegte. Er versuchte ihren Widerstand zu brechen, indem er ihr suggerierte, sie sei im Stich gelassen worden und nun völlig auf sich allein gestellt.
»Du warst mit Gabriel Allon in Tunis und hast dich als seine Geliebte ausgegeben, während er den Mord an Abu Dschihad geplant hat.«
»Ich war in meinem Leben nie in Tunis - erst recht nicht mit jemandem, der Gabriel Allon heißt!«
Er hob wieder die Pistole, um erneut zuzuschlagen, aber diesmal sah sie den Schlag kommen und hob abwehrend die Hände. »Bitte«, flehte sie. »Nicht wieder schlagen.«
Er ließ die Waffe sinken. Selbst er schien die Lust daran verloren zu haben.
»Seit ich ihn zuletzt gesehen habe, ist er ziemlich gealtert. Aber das ist verständlich, wenn man bedenkt, was er durchgemacht hat.«
Jacqueline fühlte, wie sie mürbe wurde. Die grimmige Realität der Geheimdienstarbeit hatte sie eingeholt. Zuvor war alles ein Abenteuer gewesen, auf das sie sich eingelassen hatte, um sich selbst zu beweisen, daß sie mehr als nur ein Gesicht und ein Körper war. Aber nun zeigte sich die wahre Natur von Ari Schamrons Geheimkrieg. Er war schmutzig und gewalttätig - und sie war mitten in ihn hineingeraten. Sie mußte sich irgend etwas einfallen lassen, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Vielleicht konnte sie herausbekommen, was er vorhatte. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, Gabriel und Schamron zu warnen. Vielleicht gab es eine Möglichkeit zu überleben.
»Sie sind hinter dir her«, behauptete sie. »Wahrscheinlich fahndet schon die halbe Polizei in Kanada und Amerika nach uns. Du schaffst es nie bis nach New York.«
»Tatsächlich bezweifle ich, daß außer deinen Freunden Gabriel Allon und Schamron irgendwer nach uns fahndet. Ich vermute, daß sie die Kanadier nicht um Hilfe bitten können, weil weder Kanadier noch Amerikaner wissen, daß die beiden hier sind. Würden sie's jetzt erfahren, wäre das für deinen Dienst bestimmt sehr peinlich.«
Er zog ein Taschentuch heraus und gab es ihr, damit sie es auf die Platzwunde drücken konnte. »Übrigens habe ich in dem Augenblick, in dem du in Jusefs Leben getreten bist, gewußt, daß du für den Dienst arbeitest.«
»Woher?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Ja.«
»Also gut, aber zuvor mußt du mir ein paar Fragen beantworten. Bist du wirklich Französin?« Aha, dachte sie, er weiß also doch nicht alles. »Ja, ich bin Französin«, bestätigte sie.
»Jüdischer Abstammung?«
»Ja.«
»Ist Dominique Bonard dein richtiger Name?«
»Nein.«
»Wie heißt du wirklich?«
Wie heiße ich wirklich? überlegte sie. Bin ich wirklich Jacqueline Delacroix? Nein, das ist nur der Name, den Marcel Lambert einem schönen jungen Mädchen aus Marseille gegeben hat. Wenn ich schon sterben muß, will ich unter meinem richtigen Namen sterben.
»Ich heiße Sarah«, sagte sie. »Sarah Halévy.«
»Ein hübscher Name. Nun, Sarah Halévy, ich denke, du hast ein Recht darauf, zu erfahren, wie du in diese Scheiße geraten bist.«
Er sah zu ihr hinüber; sie starrte ihn feindselig an. »Wenn du willst, kannst du mich Tariq nennen.«
Er sprach fast eine Stunde lang ohne Pause. Das machte ihm offensichtlich Spaß. Schließlich hatte er einen der gefürchtetsten Geheimdienste der Welt ausmanövriert. Er erzählte ihr, wie sie erfahren hatten, daß Gabriel in den Dienst zurückgeholt worden war, um Jagd auf ihn zu machen. Er erzählte ihr, wie sie daraufhin ihre Agenten in aller Welt alarmiert hatten. Er erzählte ihr, wie Jusef seinem Führungsoffizier sofort den Kontakt mit der schönen Französin gemeldet hatte.
»Wir haben Jusef angewiesen, sich weiter mit dir zu treffen, während wir deine Legende in Paris überprüft haben. Dabei haben wir eine Diskrepanz entdeckt, die zwar nur klein, aber eben doch eine Diskrepanz war. Wir haben dich in London fotografiert und die Aufnahmen mit Fotos der Frau verglichen, die in Tunis Gabriel Allons Begleiterin gewesen war. Wir haben Jusef angewiesen, seine Beziehung zu Dominique Bonard zu vertiefen. Er sollte eine auf Vertrauen basierende emotionale Bindung zu ihr herstellen.«
Sie dachte an ihre langen Gespräche mit Jusef. An seine Vorträge über die Leiden des palästinensischen Volkes. An seine Beichte, wie er zu den Narben auf seinem Rücken gekommen war, und seinen Bericht über die Schreckensnacht im Lager Schatila. Sie hatte die ganze Zeit über geglaubt, sie kontrolliere das Spiel - sie täusche und
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