Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
lang.
    Am ersten Tag bekam er ihn nur einmal zu Gesicht als er kurz nach Mittag aufstand und, nur mit schwarzen Boxershorts bekleidet, für einen Augenblick am Fenster erschien. Er hatte dunkles, lockiges Haar, hohe Backenknochen und volle Lippen. Sein Körper war schlank und sehnig. Gabriel schlug Schamrons Akte auf und verglich das Gesicht am Fenster mit dem auf der  Umschlaginnenseite eingehefteten Foto.
    Derselbe Mann.
    Gabriel spürte, wie eine operative Kälte sich in ihm ausbreitete, während er die Gestalt am Fenster gegenüber studierte. Alles wirkte plötzlich heller und kontrastreicher. Geräusche klangen lauter und deutlicher - eine Autotür, die zugeschlagen wurde, das Liebespaar, das sich in einer Nachbarwohnung stritt, ein Telefon, das läutete, ohne daß jemand den Hörer abnahm, sein in der Küche schrill pfeifender Teekessel. Er blendete diese Störungen nacheinander aus und konzentrierte sich auf den Mann am Fenster auf der anderen Straßenseite.
    Jusef al-Tawfiki, Palästinenser, im Nebenberuf nationalistischer Dichter, im Nebenberuf Student am University College, im Nebenberuf Kellner im libanesischen Restaurant Kebab Factory in der Edgware Road, im Hauptberuf Einsatzagent von Tariqs Geheimarmee.
    Eine Hand erschien auf Jusefs Unterleib: blaß, vor seiner dunklen Haut leuchtend. Eine Frauenhand. Gabriel sah flüchtig eine blonde Kurzhaarfrisur. Dann verschwand Jusef wieder hinter dem Vorhang.
    Die junge Frau ging eine Stunde später. Bevor sie in ein Taxi stieg, sah sie zu der Wohnung auf, um festzustellen, ob ihr Liebhaber ihr nachsah. Das Fenster war leer, der Vorhang geschlossen. Sie schlug die Autotür etwas fester zu als notwendig, und das Taxi fuhr los.
    Gabriel machte die erste operative Einschätzung: Jusef behandelte seine Frauen nicht gut.
    Am nächsten Tag beschloß Gabriel, eine lockere Überwachung durchzuführen.
    Jusef verließ seine Wohnung gegen Mittag. Bekleidet war er mit einer schwarzen Hose, einem weißen Hemd und einer schwarzen Lederjacke. Als er auf den Gehsteig trat, blieb er stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden und die in der Nähe geparkten Wagen nach Anzeichen für eine Überwachung abzusuchen. Dann schnippte er das Zündholz weg und ging in Richtung Edgware Road. Nach ungefähr 100 Metern blieb er plötzlich stehen, machte kehrt und ging noch einmal zurück.
    Das Standardverfahren, um Beschatter zu entdecken, dachte Gabriel. Er ist ein Profi.
    Fünf Minuten später war Jusef wieder auf der Straße und entfernte sich in Richtung Edgware Road. Gabriel ging ins Bad, rieb Gel in sein kurzes Haar und setzte eine rötlich getönte Brille auf. Dann zog er seine Jacke an und verließ die Wohnung.
    Der Kebab Factory gegenüber lag ein kleines italienisches Restaurant. Gabriel betrat es und setzte sich an einen Fenstertisch. Er erinnerte sich an die Vorträge während seiner Ausbildung. Beobachtet man eine Zielperson von einem Café aus, gilt es alles zu vermeiden, was den Eindruck erweckt, man beobachte eine Zielperson von einem Café aus - zum Beispiel stundenlang allein an einem Tisch sitzen und vorgeben, eine Zeitung zu lesen. Zu offensichtlich.
    Gabriel verwandelte sich in Cedric, der für ein aufstrebendes Pariser Kulturmagazin schrieb. Er sprach nahezu unverständliches Englisch mit starkem französischem Akzent. Er behauptete, er arbeite an einer Story darüber, weshalb London heutzutage so aufregend und Paris so langweilig sei. Er rauchte Gitanes und trank unmäßig viel Wein. Er führte ein mühsames Gespräch mit den beiden Schwedinnen am Nebentisch. Er lud eine von ihnen in sein Hotelzimmer ein. Als sie dankend ablehnte, fragte er die andere. Als sie ebenfalls ablehnte, lud er beide ein. Er verschüttete ein Glas Chianti. Signor Andriotti, der Geschäftsführer, kam an seinen Tisch und sagte Cedric, er müsse sich anständig benehmen oder das Lokal verlassen.
    Die ganze Zeit über beobachtete Gabriel jedoch Jusef auf der anderen Straßenseite. Er beobachtete ihn, wie er geschickt die Mittagsgäste bediente. Beobachtete ihn, als er kurz das Restaurant verließ und die Straße entlang zu einem Kiosk ging, an dem es arabischsprachige Zeitungen gab. Beobachtete ihn, als eine hübsche Schwarzhaarige ihre Telefonnummer auf eine Serviette schrieb, die sie ihm dann in die Hemdtasche steckte, damit er sie nicht verlor. Beobachtete ihn, während er ein langes Gespräch mit einem wachsam aussehenden Araber führte. In dem Augenblick, in dem Gabriel seinen Chianti

Weitere Kostenlose Bücher