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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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benehmen. Die Probeaufnahmen waren sensationell gewesen. Sie hatte die Kamera dominiert, hatte eine spielerische Sexualität ausgestrahlt.
    Marcel hatte die Aufnahmen unauffällig in Paris in Umlauf gebracht: kein Name, nichts über das Mädchen, nur die Fotos und seine Geschäftskarte. Die Reaktion war nicht lange ausgeblieben. Sein Telefon hatte eine Woche lang nicht mehr zu klingeln aufgehört. Fotografen rissen sich darum, mit ihr zu arbeiten. Modeschöpfer wollten sie für ihre Herbstschauen engagieren. Die Nachricht von den Fotos hatte sich von Paris nach Mailand, von Mailand nach New York verbreitet. Die gesamte Modebrache wollte den Namen dieser geheimnisvollen schwarzhaarigen französischen Schönheit erfahren: Jacqueline Delacroix.
    Wie sich das alles geändert hatte! Die erstklassigen Aufträge waren ab ihrem 26. Geburtstag seltener geworden, aber seit sie nun 33 Jahre alt war, gab es überhaupt keine guten Jobs mehr. Bei den Herbstmodeschauen in Paris und Mailand durfte sie weiter auf den Laufsteg, aber nur für zweitklassige Häuser. Sie wurde noch immer gelegentlich für Wäschephotos engagiert - »Deinen Titten fehlt nichts, Chérie« , sagte Marcel gern -, aber es war unumgänglich, auch andere Aufträge für sie anzunehmen. Erst vor kurzem hatte sie Werbeaufnahmen für eine deutsche Brauerei gemacht, auf denen sie als attraktive Ehefrau eines erfolgreichen Mannes in mittleren Jahren posiert hatte.
    Marcel hatte sie gewarnt, daß das eines Tages passieren würde. Er hatte ihr geraten, ihr Geld zu sparen, für das Leben nach ihrer Zeit als Model vorzusorgen. Diese Mühe hatte Jacqueline sich nie gemacht - sie hatte angenommen, das Geld werde ewig hereinströmen. Manchmal versuchte sie zu rekonstruieren, wofür sie das viele Geld ausgegeben hatte. Die teuren Klamotten. Die Apartments in Paris und New York. Die extravaganten Urlaube mit den anderen Mädchen in der Karibik oder im Südpazifik. Die Tonne Kokain, die sie geschnupft haben mußte, bevor sie von dem Zeug losgekommen war.
    In einem Punkt hatte Michel Duval recht gehabt: Sie hatte mit einem Mann geschlafen, um einen Auftrag zu bekommen, mit Robert Leboucher, einem Redakteur der Zeitschrift Vogue. Das war ein heißbegehrter Job, den sie dringend brauchte: Werbefotos in Bademoden und Sommerkleidung auf Mustique. Dieser Auftrag konnte alles zu ihren Gunsten wenden - sie würde genug verdienen, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen, und der gesamten Branche beweisen, daß sie noch immer hatte, was man für die heißen Jobs brauchte. Wenigstens noch ein Jahr lang, höchstens zwei Jahre. Und was dann?
    Sie erreichte das Haus, trat in den Lift und fuhr zu Marcels Wohnung hinauf. Als sie klingelte, flog die Tür auf. Marcel stand mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund vor ihr. »Jacqueline, mein Schatz! Bitte sag mir, daß das nicht stimmt. Sag mir, daß du Michel Duval nicht in die Eier getreten hast! Sag mir, daß er das alles nur erfunden hat!«
    »Tatsächlich hab' ich seinen Schwanz getroffen, Marcel.«
    Er warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Ich wette, du bist die erste Frau, die das gemacht hat. Geschieht dem Schweinehund recht! Claudette hat er damals beinahe ruiniert. Du erinnerst dich, wie er sie behandelt hat? Die arme Kleine. So schön, so talentiert.«
    Er zog die Mundwinkel herunter, stieß ein mißbilligendes gallisches Schnauben aus, ergriff ihre Hand und zog sie herein. Wenig später saßen sie auf dem Sofa, tranken Wein und hörten trotz geschlossener Fenster das Brausen des Pariser Abendverkehrs. Marcel gab ihr Feuer und wedelte das Zündholz mit einer raschen Bewegung aus. Er trug enge verwaschene Jeans, schwarze Slipper und einen grauen Rollkragenpullover. Sein schütter werdendes graues Haar war sehr kurz geschnitten. Vor kurzem hatte er sich erneut liften lassen; nun wirkten seine blauen Augen unnatürlich groß und schienen aus ihren Höhlen quellen zu wollen, als sei er ständig überrascht. Jacqueline dachte an die lange zurückliegende Zeit, als Marcel sie hier einquartiert und auf das vor ihr liegende Leben vorbereitet hatte. In dieser Wohnung hatte sie sich stets sicher gefühlt.
    »Also, mit welchen Tricks hat Michel diesmal gearbeitet?«
    Jacqueline schilderte ihm die Aufnahmen, ohne irgend etwas zu verschweigen. Die beiden hatten kaum Geheimnisse voreinander. Als sie ausgeredet hatte, meinte Marcel: »Du hättest ihn vielleicht lieber nicht treten sollen. Er droht mit einer Klage.«
    »Er

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