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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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paar  Minuten gespritzt. Hat sie das Scheißzeug von dir gekriegt, Mann?«
    »Ich habe nichts mit irgendwelchen Drogen zu tun.«
    Tariq merkte, daß seine Stimme angesichts dieser Situation unangemessen ruhig klang. Er hatte sich bemüht, den Eindruck zu erwecken, Maartens Rückkehr störe ihn nicht weiter, aber jetzt schien er den Tod seiner kleinen Schwester zu sehr auf die leichte Schulter zu nehmen. Maarten glaubte ihm offenbar kein Wort. Er schrie wütend auf und stürmte mit erhobenen Armen und geballten Fäusten quer durch den Salon auf ihn zu.
    Tariq gab den Versuch auf, an den Schalldämpfer heranzukommen. Er riß seine Pistole hoch, zog den Schlitten zurück, zielte auf Maartens Gesicht und schoß ihm ins linke Auge.
    Tariq arbeitete schnell. Er hatte es geschafft, Maarten mit einem einzigen Schuß zu erledigen, aber er mußte davon ausgehen, daß jemand auf den benachbarten Hausbooten oder oben auf dem Kai den Knall gehört hatte. Vielleicht war die Polizei bereits unterwegs. Er steckte die Makarow wieder in seinen Hosenbund, hob die Patronenhülse auf, nahm seine Reisetasche und die Blumenbox und trat aufs Achterdeck hinaus. Inzwischen war es dunkel geworden; Schneeflocken wirbelten über die Amstel. Die Dunkelheit würde ihm die Flucht erleichtern. Tariq sah nach unten und stellte fest, daß er an Deck Fußabdrücke hinterließ. Er schlurfte zur Reling, um die Abdrücke zu verwischen, und stieg die kleine Leiter zum Kai hinauf. Dann ging er rasch, aber ohne verdächtige Hast davon.
    An einer dunklen Stelle des Kais warf er seine Reisetasche in den Fluß. Das Klatschen war kaum zu hören. Selbst wenn die Polizei die Tasche herausfischte, enthielt sie nichts, was ihn hätte verraten können. Neue Sachen und eine neue Reisetasche konnte er sich kaufen, wenn er in Antwerpen ankam. Dann  dachte er: Falls ich in Antwerpen ankomme.
    Er folgte der Herengracht westlich durch die Stadt. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, auf den Anschlag zu verzichten, geradewegs zur Centraalstation zu gehen und das Land mit dem nächsten Zug zu verlassen. Die Morgenthaus waren weiche Ziele, deren politischer Wert sehr gering war. Kemel hatte sie ausgewählt, weil sie leicht zu ermorden waren, was Tariq die Möglichkeit gab, den Druck auf die Friedensverhandlungen aufrechtzuerhalten. Aber durch das Fiasko auf dem Hausboot hatte sich das Risiko, geschnappt zu werden, dramatisch erhöht. Vielleicht war es besser, die ganze Sache abzublasen.
    Vor ihm flogen einige Möwen von der Gracht auf. Die Vögel waren im Schneetreiben fast unsichtbar, aber ihre klagenden Schreie hallten von den Fassaden der Häuser am Kanal wider, und Tariq war für einen Augenblick wieder ein Achtjähriger, der barfuß durchs Flüchtlingslager bei Sidon rannte.
    Der Brief war am späten Nachmittag angekommen. Er war an Tariqs Eltern adressiert. Darin wurde mitgeteilt, Mahmoud al-Hourani sei in Köln erschossen worden, weil er nachweislich ein Terrorist gewesen sei - und wenn Tariq, der Jüngste der Familie al-Hourani, ein Terrorist werde, erwarte ihn das gleiche Schicksal. Tariqs Vater sagte ihm, er solle zum PLO-Büro laufen und fragen, ob der Brief die Wahrheit sage. Tariq fand einen PLO-Vertreter und zeigte ihm den Brief. Der PLO-Mann las ihn, gab ihn Tariq zurück und befahl ihm, heimzulaufen und seinem Vater auszurichten, der Brief sei wahr. Tariq, der seine Umgebung mit Tränen in den Augen nur verschwommen wahrnahm, rannte durchs Elendslager nach Hause. Er betete seinen großen Bruder Mahmoud an. Er konnte sich kein Leben ohne ihn vorstellen.
    Als er zurückkam, hatte die Nachricht von dem Brief sich schon im ganzen Lager verbreitet - auch andere Familien hatten in der Vergangenheit ähnliche Briefe erhalten. Frauen versammelten sich vor der Hütte der Familie al-Hourani. Ihr Klagegeschrei und ihr Schwatzen stiegen mit dem Rauch der Kochfeuer in den Abendhimmel auf. Ihre Stimmen erinnerten Tariq an das Gezwitscher der Vögel in den Sümpfen. Er fand seinen Vater und berichtete ihm, der Brief sei wahr - Mahmoud sei tot. Sein Vater warf den Brief ins Feuer. Tariq würde seinen schmerzlichen Gesichtsausdruck nie vergessen: den Schmerz seines Vaters über die unaussprechliche Schande, vom Tod seines Ältesten von eben den Männern erfahren zu haben, die Mahmoud ermordet hatten.
    Nein, sagte Tariq sich jetzt, während er die Herengracht entlangging. Er würde das Unternehmen nicht abblasen und die Flucht ergreifen, nur weil er fürchtete,

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