Der aufziehende Sturm
Mann - und viele der anderen - war lange davor mit der Bitte um eine Ausbildung gekommen. Aviendha hätte eher den Sichtblender umarmt, als das zu tun, aber die Männer hatten sich als mächtige Waffen erwiesen.
Amys und Aviendha traten zur Seite, als die kleine Gruppe zum Herrenhaus eilte, nur von den in der Ferne flackernden Fackeln und dem bewölkten Himmel über ihnen erhellt. Obwohl sich der größte Teil der Streitmacht, die man zu dem Treffen mit den Seanchanern geschickt hatte, aus Basheres Soldaten zusammensetzte, waren auch einige Töchter dabei gewesen. Amys sah eine von ihnen an, eine ältere Frau namens Corana. Sie blieb ein Stück zurück, und obwohl das in der Dunkelheit schwer zu sagen war, erschien sie besorgt. Vielleicht wütend.
»Welche Neuigkeiten bringt ihr?«, fragte Amys.
»Die Invasoren, diese Seanchaner« - Corana spuckte das Wort beinahe aus -, »sie haben in ein weiteres Treffen mit dem Car'a'carn eingewilligt.«
Amys nickte. Corana hingegen schnaubte deutlich hörbar. Die kühle Brise bewegte ihr kurzes Haar.
»Sprich«, sagte Amys.
»Der Car'a'carn sucht den Frieden zu sehr«, erwiderte Corana. »Diese Seanchaner haben ihm Grund für eine Blutfehde gegeben, aber er kriecht vor ihnen. Ich kam mir wie ein abgerichteter Hund vor, den man ausschickt, um einem Fremden die Füße zu lecken.«
Amys warf Aviendha einen Blick zu. »Was sagst du dazu?«
»Mein Herz stimmt ihren Worten zu, Weise Frau. Aber auch wenn der Car'a'carn in vielen Dingen ein Narr ist, so gilt das nicht hierfür. Mein Verstand stimmt ihm zu, und in diesem Fall würde ich dem Verstand folgen.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«, fauchte Corana. Sie betonte das Du, als wollte sie andeuten, dass gerade Aviendha, die kürzlich noch eine Tochter gewesen war, sie verstehen müsste.
Aviendha hob das Kinn. »Was ist wichtiger, Corana? Die Meinungsverschiedenheit, die du mit einer anderen Tochter hast, oder die Fehde, die dein Clan mit seinem Feind hat?«
»Natürlich kommt der Clan zuerst. Aber was spielt das denn für eine Rolle?«
»Die Seanchaner haben verdient, dass man sie bekämpft«, sagte Aviendha, »und du hast recht, dass es einen schmerzt, sie um Frieden zu bitten. Aber du vergisst, dass wir einen größeren Feind haben. Sichtblender hat eine Fehde mit allen Menschen, und unsere Pflicht ist größer als die Fehden zwischen Nationen.«
Amys nickte. »Es wird zu einem anderen Zeitpunkt noch genug Zeit sein, den Seanchanern das Gewicht unserer Speere zu zeigen.«
Corana schüttelte den Kopf. »Weise Frau, Ihr klingt wie ein Feuchtländer. Was kümmern uns denn ihre Prophezeiungen und Geschichten? Rand al'Thors Pflicht als Car'a'carn ist viel größer als die Pflicht, die er den Feuchtländern gegenüber hat. Er muss uns zum Ruhm führen.«
Amys starrte die blonde Tochter ungehalten an. »Du klingst wie eine Shaido.«
Einen Moment lang erwiderte Corana ihren Blick ungerührt, dann gab sie nach und wandte sich ab. »Verzeiht, Weise Frau«, sagte sie schließlich. »Ich habe Toh. Aber Ihr solltet wissen, dass die Seanchaner Aiel in ihrem Lager hatten.«
»Was?«, fragte Aviendha.
»Sie waren angeleint wie ihre zahmen Aes Sedai«, berichtete Corana. »Ich vermute, man hat sie uns bei unserer Ankunft absichtlich wie Trophäen gezeigt. Unter ihnen habe ich viele Shaido erkannt.«
Amys zischte leise. Shaido oder nicht, Aiel, die man als Damane hielt, stellten eine tödliche Beleidigung dar. Und die Seanchaner prahlten auch noch mit ihren Gefangenen. Aviendha griff nach ihrem Dolch.
Amys sah sie an. »Und was sagst du jetzt?«
Aviendha biss die Zähne zusammen. »Das Gleiche, Weise Frau, obwohl ich mir lieber die Zunge abschneiden würde, als das zuzugeben.«
Amys nickte und wandte sich wieder Corana zu. »Glaube nicht, dass wir diese Beleidigung ignorieren werden, Corana. Es wird Vergeltung erfolgen. Sobald dieser Krieg vorbei ist, werden die Seanchaner den Hagel unserer Pfeile und die Spitzen unserer Speere zu spüren bekommen. Aber erst dann. Geh und berichte den beiden Clanhäuptlingen, was du mir erzählt hast.«
Corana nickte - sie würde ihr Toh später unter vier Augen mit Amys regeln - und ging. Damer Flinn und die anderen hatten das Herrenhaus bereits erreicht; würden sie Rand wecken? Er schlief jetzt, allerdings war Aviendha in der Mitte ihrer abendlichen Strafe gezwungen gewesen, ihren Bund zu dämpfen, sonst hätte sie Gefühle ertragen müssen, die sie lieber vermied. Genauer gesagt wollte sie
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