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Der aufziehende Sturm

Der aufziehende Sturm

Titel: Der aufziehende Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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verzierten goldenen Stuhl, die den Königen und Königinnen des Landes warnend die Hand entgegenstreckte. Die Plakette am unteren Rand verkündete, dass es sich hier um ein Bild von Caraighan Maconar handelte, die die Rebellion in Mosadorin beendete. Egwene erinnerte sich dunkel an das Wandbild; als sie es das letzte Mal gesehen hatte, hatte es an der Wand der Burgbibliothek gehangen. Aber damals war das Gesicht der Amyrlin nicht eine Maske aus Blut gewesen. Die Toten, die von den Dachvorsprüngen baumelten, waren ebenfalls nicht da gewesen.
    Katerine trat mit blassem Gesicht neben sie. Keiner sprach gern von der unnatürlichen Weise, auf die Räume und Korridore in der Burg ihren Standort änderten. Diese Veränderungen waren eine ernste Mahnung, dass die Rangeleien um Autorität hinter größeren, schrecklichen Nöten in der Welt zurücktraten. Das war das erste Mal, dass Egwene nicht nur erlebte, wie sich ein Korridor verschob, sondern auch ein Bild veränderte. Der Dunkle König rührte sich, und das Muster selbst erbebte.
    Sie drehte sich um und ließ das versetzte Wandbild hinter sich zurück. Sie konnte sich jetzt nicht auf diese Probleme konzentrieren. Man schrubbte einen Boden, indem man sich eine Stelle aussuchte und an die Arbeit machte. Sie hatte sich ihre Stelle ausgesucht. Die Weiße Burg musste wieder versöhnt werden.
    Unglücklicherweise würde dieser Umweg mehr Zeit erfordern. Zögernd beschleunigte Egwene ihre Schritte; es wäre nicht richtig, früher einzutreffen, aber sie wollte sich auch nicht verspäten. Ihre beiden Aufpasserinnen beeilten sich ebenfalls, Röcke rauschten, als sie durch mehrere Korridore hasteten. Dabei sah Egwene zufällig, wie Alviarin mit gesenktem Kopf um eine Ecke huschte und in Richtung des Arbeitszimmers der Oberin der Novizinnen eilte. Also begab sie sich doch zu ihrer Bestrafung. Was hatte sie aufgehalten?
    Zwei weitere Abzweigungen und eine Treppe mit kalten Steinstufen später eilte Egwene durch das Gebiet der Roten Ajah in der Burg, da das jetzt die schnellste Route nach oben zu den Gemächern der Amyrlin war. An den Wänden hingen rote Wandteppiche, die von den blutroten Bodenfliesen noch betont wurden. Die hier befindlichen Frauen trugen sämtlich einen Ausdruck einer beinahe einheitlichen Strenge im Gesicht, ihre Stolen waren sorgfältig über Schultern und Armen drapiert. Sie erschienen unsicher, und das hier, im Quartier ihrer eigenen Ajah, wo sie selbstbewusst hätten sein müssen; sie schienen selbst den emsigen Dienern zu misstrauen, die die Flamme von Tar Valon auf der Brust trugen. Egwene ging durch die Gänge und wünschte sich, sich nicht so beeilen zu müssen, da es sie eingeschüchtert aussehen ließ. Aber das ließ sich nicht ändern. In der Mitte der Burg erklomm sie mehrere Treppen und erreichte schließlich den Korridor, der zu den Gemächern der Amyrlin führte.
    Die ihr als Novizin aufgetragenen Arbeiten und Unterrichtsstunden hatten ihr nur wenig Zeit gelassen, sich über ihre Konfrontation mit der falschen Amyrlin Gedanken zu machen. Das war die Frau, die Siuan gestürzt hatte, die Frau, die Rand hatte verprügeln lassen, die Frau, die die Aes Sedai selbst an den Abgrund des Zusammenbruchs gedrängt hatte. Elaida musste ihren Zorn kennenlernen, sie musste gedemütigt und beschämt werden! Sie ...
    Egwene blieb vor Elaidas vergoldeter Tür stehen. Nein.
    Sie konnte sich diese Szene mühelos vorstellen. Eine wütende Elaida, eine in die dunklen Kerkerzellen unter der Burg verbannte Egwene. Was sollte das nutzen? Sie konnte die Frau nicht herausfordern, noch nicht. Das würde nur zu dem Gefühl flüchtiger Zufriedenheit führen, dem ein verheerendes Scheitern folgte.
    Aber beim Licht, sie konnte sich auch unmöglich vor Elaida verneigen! Die Amyrlin tat so etwas nicht!
    Oder ... Nein. Die Amyrlin tat, was von ihr verlangt wurde. Was war wichtiger? Die Weiße Burg oder ihr Stolz? Die einzige Möglichkeit, diese Schlacht zu gewinnen, bestand darin, Elaida glauben zu machen, sie würde gewinnen. Nein ... Nein, die einzige Möglichkeit zu gewinnen bestand darin, Elaida glauben zu machen, dass es gar keine Schlacht gab.
    Konnte sie lange genug höflich sein, um diesen Abend zu überleben? Sie war sich da nicht sicher. Aber wenn sie dieses Essen verließ, musste Elaida das Gefühl haben, dass sie die Kontrolle hatte, dass Egwene richtig eingeschüchtert war. Der beste Weg, das zu erreichen und sich einen gewissen Stolz zu erhalten, würde darin

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