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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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    andauernd das Gefühl zu dem, was ihr Mund gerade sagte.
    Der Mund, dieses sich auf Wörter reduzierende Lippenge‐
    lände, hatte zu kämpfen, um das herauszubringen, was die Augen schon wußten und ausdrückten. Dieser um Sätze
    kämpfende Mund sah doch wirklich aus, als habe er Wehen.
    Die Natur hat uns einzig und allein dazu geschaffen, glücklich zu sein; ja, uns alle − vom Wurm, der auf dem Boden dahinkriecht, bis zu dem Adler, der sich in den Wolken verliert.
    Und wenn sie so ein Paradezitat ausgestoßen hat, wartet sie
    auf die Wirkung. Herr Zürn, Sie sind auf dem Prüfstand, stellvertretend für Ihre Landsleute, zeigen Sie Wirkung oder
    gestehen Sie, daß Sie keine mehr spüren. Daß einer kurz vor
    1750 vollkommen Schluß gemacht hat mit dem Sprach‐
    schwindel hie Körper, da Seele, daß ihn seitdem keiner

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    übertroffen hat in seiner Fähigkeit, sich, uns alle, den Menschen als eins, als ein Einziges zu erleben, und nicht nur den
    Menschen, Herr Zürn, alles ist eins, die Mücke, der Hund, der Mensch, die Sonnenblume, alles ist aus dem selben Stoff,
    und Bewußtsein ist überall! Das hat vor ihm und nach ihm keiner so mitreißend erlebt und erzählt. Herr Zürn! Herr Krall! Was ist los mit Ihnen?!
    Gottlieb spürte, daß sie ihn heftig loben wollte. Er müßte ihr sagen, daß er ein Training hinter sich habe. Schluß mit dem Gelobtwerdenwollen. Das Gelobtwerdenwollen ist das
    unverwüstlich Kindheitliche in uns. Und je älter wir werden,
    desto komischer wirkt dieses Immernochgelobtwerdenwollen.
    Irgendwann müßte, was man tut, sich selber loben. Oder
    eben nicht. Bei dir eben nicht, Gottlieb Zürn. Deshalb bist du
    immer noch in Gefahr, abhängig zu werden von solchen, die
    dich loben. Oder die so tun, als wollten sie dich loben. Es lobt dich jeder nur um seinetwillen. Das ist erfahren. Keiner lobt
    dich um deinetwillen. Also schließ deine Ohren vor diesem freundlichen Schwall. Schenk ihr noch einen Calvados ein.
    Und noch einen. Ermuntere sie zum Trinken, daß sie dann selber merkt, wie wenig glaubwürdig sie ist. Gib ihr
    Gabrieles Telephonnummer. Soll sie die ausfragen über La
    Mettrie‐Wirkungen in Deutschland. Das tat er dann. Die
    Besucherin war entzückt. Eine junge Politikerin, die durch La
    Mettrie zu sich selbst gefunden hat. Das ist Wirkungsge‐
    schichte! Fabelhaft! Dann mußte sie tatsächlich gehen. Die Großtante braucht das Auto, weil sie heute ihren Bridge-Abend in Bad Schachen hat. Aber sie sei so froh, daß sie es gewagt habe, hier einzudringen und vorzudringen zu Wen-22
    delin Krall. Sie habe viel gelernt an diesem zu kurzen Nach‐
    mittag. Und so weiter.
    Gottlieb hörte das wie aus weiter Ferne. Die konnte jetzt also einfach gehen. Und er, der Immerschonidiot, blieb ver-blutend zurück. Er ging mit ihr zum eisernen Gartentor, das
    man nur aufkriegte, wenn man es zuerst nach oben riß, dann
    erst konnte man es zu sich herziehen. Auch kreischten die Angeln, weil Gottlieb vor lauter Sitzenmüssen nie dazu kam,
    sie zu ölen. Sie blieb stehen, hob Kopf und Schultern, als stünde sie unter der Dusche, und sagte mit ihrem dabei sich
    ganz langsam öffnenden Mund: Toll. Gottlieb blieb nichts
    übrig als zu fragen: Was? Das Kreischen, sagte sie, so schön,
    so schrill. Und wie sie vorher scharf mit drei fʹs gesprochen hatte, sprach sie jetzt schrill mit einem nicht aufhörenden l aus. Daß sie ihre Zunge während dieses unaufhörlichen lʹs ziemlich entblößte, schien ihr nichts auszumachen. La Mettrie läßt grüßen, dachte Gottlieb und machte durch eine
    Kopfbewegung deutlich, daß er jetzt, solange sie das l tril-lerte, vor sich auf den Boden schauen werde. Da sah er, zum
    ersten Mal, ihre Schuhe. Wahrscheinlich waren die jetzt
    gerade modern. Viel länger als nötig, so weit kann kein Fuß
    nach vorne kommen, so schmal kein Fuß sein, und ganz
    vorne nicht mehr spitz, sondern wie abgesägt. Aber das
    wirklich Attackierende war das Schlangenleder oder Schlan‐
    genledermuster. Total tropisch beziehungsweise: die Schlan‐
    ge persönlich. Die Absätze manierierter als je. Geschwungen
    dünn und dann doch ziemlich massiv auf den Boden
    kommend.
    Er schaute wieder nach oben.

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    Sie werden, fürchte ich, von mir hören, sagte sie. Der
    Animateur La Mettrie! Sie sei so unbescheiden zu vermuten,
    daß sie Zeugin einer Wiederbelebung geworden sei. Die sei La Mettries Werk. Wendelin Krall redivivus! Solche Beispiele
    suche sie. Vielleicht sei sie zu

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