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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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zutraut, sie selbst zu sein. Dazu noch zwei Madelons: die unnachgiebige Freudforscherin und die vor
    der ganzen Welt, außer vor Beate verheimlichte Geliebte des
    großen Erfinders Brian Dewey. Beate muß Madelon noch
    melden, daß sie inzwischen nicht mehr Juliette, sondern
    Themire heißen möchte (siehe die Schriften Volupté und Épicure). Am liebsten würde Beate nur noch über einen 67
    einzigen Satz ihres Patrons schreiben: Ich habe die Stärke gehabt zu vergessen, was ich aus Schwache gelernt hatte (Épicure, S. 64). Madelon eröffnete sie, nicht als Krieg, sondern als Spiel, daß in diesem Satz ein Anti‐Freud‐Programm glühe.
    Hätte dieser Satz von 1750 bis 1900 Folgen gehabt in Europa,
    hätte sich Freud, den sie, belehrtbekehrt von Madelon
    Pierpoint, jetzt auch einen großen wien‐viktorianischen
    Romancier nannte, hätte der sich, entspannt für immer,
    selber auf seine Berggassen‐Couch legen können.
    When she left Dr. Douglasʹ office last time, she felt like a jerk. She had rambled, talked in circles. It becomes apparent
    that their relationship caters exclusively to her need for confidence, reassurance, emotional stability, and yet, at the same time, distance, the freedom to keep her private space all
    to herself. Sheʹs courting fathers and, at the same time, she withholds herself. She misses HIM.
    Wenn sie dann mit angetrunkenem Mut wieder einen Brief
    in den Kasten geschubst hat, so geschubst, als müsse dieser Schubs den Brief über den Ozean befördern, fing der Brief an
    zu schreien. Das war eine Erfahrung, Jesus! Und der
    vorletzte Brief, der eigentlich schon längst drüben sein
    müßte, schreit auch noch einmal mit. Wir genieren uns,
    schreien die Briefe. Soviel gibt man nicht zu, schreien sie.
    Nimm uns zurück. Briefe zur Gründung von Unwirklichkeit, hatte er geschrieben. Andererseits hatte sie beim letzten Telephongespräch zum ersten Mal auch ein DU platziert.
    Alles ist möglich. Auch das Unmögliche. Vor allem das.
    Hoffte sie. Ihr satzlos hingesagtes, also ziemlich blankes DU,
    das sich nicht, wie sein erstes, als Versprecher tarnte, ihr DU
    war eine Uraufführung. Dem entsprechend ihre first night

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    nerves. Ist das DU‐Schreiben doch einfacher als das DU‐
    Sagen? Hochgerechnet hieße das: Schriftlich wächst du
    leichter über dich hinaus als mündlich. Danach empfand sie
    einen aus allen Partien ihres Körpers gespeisten Widerwillen
    gegen Äußerung. Keine Lust mehr, sich mitzuteilen. Er war,
    weil er sich zierte und genierte und ministrantenhaft
    aufführte, er war schuld, daß sie sich entblößt vorkam. Der kriegte keinen Traum mehr von ihr. Nicht den Fetzen eines Traums. Zu seiner Aufführung paßte, daß er sie immerzu als
    Verheiratete adressierte. Mrs. Gutbrod! Her motherʹs dreams
    come true. Hier ist man, unberingt, Ms.! Topic closed.
    Ihr Widerwille gegen Äußerung war zwar durch ihn ge‐
    speist, aber auch durch die Vorstellung, daß alles, was sie über La Mettrie schrieb, nicht nur Glen O. Rosenne gefallen
    mußte, sondern auch Patricia Best. Beate ahnt, nein, sie weiß:
    So, wie sie das erzählen will, will es Patricia Best nicht wissen. Les grandes pensées viennent du cœeur. Vauvenargue.
    Solche Zitate schleppt sie an, damit Patricia Best der Wissen‐
    schaft Gefühl erlaube. Aber da zündet die Kettenraucherin mit ihrem Zigarettenrest die nächste an und kneift die Augen
    zusammen, als schmerze sie Beates Anblick. Beate kann
    Patricia Best, wenn die von einer Sekunde auf die andere plötzlich ganz kühl wird, nicht gestehen, daß sie Denken ohne imagination nicht mag.
    Weiß er, daß er eine Stimme hat, die nur mit dem Adjektiv
    warm zu bezeichnen ist? Sie hofft, er wisse das nicht. Sie wünscht, sie könnte sich genau so zusammennehmen wie er.
    In den Stimmungen, in die sie (wie sie glaubt) durch ihn gerät, ist sie sich selbst nicht sympathisch. Erst wenn sie mit
    ihm telephoniert hat und er ihr augenblicksweise hörbar‐

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    spürbar verfällt und sich dann umständlich wieder zurück‐
    ruft in seine feineren Wälle, den Schmerz aber, den das bereitet, nicht verbirgt, sondern geradezu angeberisch
    gesteht, erst dann kann sie sich wieder erträglich werden.
    Wer am Telephon nicht unzurechnungsfähig wird, der
    kommt nicht in Frage. Zum Glück stolpertstammelt er am
    Telephon regelmäßig in eine nicht mehr gewollt wirkende
    Unzurechnungsfähigkeit. Schreibend ruft er sich zurück.
    Selbst da signalisiert er zwar, daß er sich lieber

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