Der Augenblick der Liebe
zutraut, sie selbst zu sein. Dazu noch zwei Madelons: die unnachgiebige Freudforscherin und die vor
der ganzen Welt, außer vor Beate verheimlichte Geliebte des
großen Erfinders Brian Dewey. Beate muß Madelon noch
melden, daß sie inzwischen nicht mehr Juliette, sondern
Themire heißen möchte (siehe die Schriften Volupté und Épicure). Am liebsten würde Beate nur noch über einen 67
einzigen Satz ihres Patrons schreiben: Ich habe die Stärke gehabt zu vergessen, was ich aus Schwache gelernt hatte (Épicure, S. 64). Madelon eröffnete sie, nicht als Krieg, sondern als Spiel, daß in diesem Satz ein Anti‐Freud‐Programm glühe.
Hätte dieser Satz von 1750 bis 1900 Folgen gehabt in Europa,
hätte sich Freud, den sie, belehrtbekehrt von Madelon
Pierpoint, jetzt auch einen großen wien‐viktorianischen
Romancier nannte, hätte der sich, entspannt für immer,
selber auf seine Berggassen‐Couch legen können.
When she left Dr. Douglasʹ office last time, she felt like a jerk. She had rambled, talked in circles. It becomes apparent
that their relationship caters exclusively to her need for confidence, reassurance, emotional stability, and yet, at the same time, distance, the freedom to keep her private space all
to herself. Sheʹs courting fathers and, at the same time, she withholds herself. She misses HIM.
Wenn sie dann mit angetrunkenem Mut wieder einen Brief
in den Kasten geschubst hat, so geschubst, als müsse dieser Schubs den Brief über den Ozean befördern, fing der Brief an
zu schreien. Das war eine Erfahrung, Jesus! Und der
vorletzte Brief, der eigentlich schon längst drüben sein
müßte, schreit auch noch einmal mit. Wir genieren uns,
schreien die Briefe. Soviel gibt man nicht zu, schreien sie.
Nimm uns zurück. Briefe zur Gründung von Unwirklichkeit, hatte er geschrieben. Andererseits hatte sie beim letzten Telephongespräch zum ersten Mal auch ein DU platziert.
Alles ist möglich. Auch das Unmögliche. Vor allem das.
Hoffte sie. Ihr satzlos hingesagtes, also ziemlich blankes DU,
das sich nicht, wie sein erstes, als Versprecher tarnte, ihr DU
war eine Uraufführung. Dem entsprechend ihre first night
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nerves. Ist das DU‐Schreiben doch einfacher als das DU‐
Sagen? Hochgerechnet hieße das: Schriftlich wächst du
leichter über dich hinaus als mündlich. Danach empfand sie
einen aus allen Partien ihres Körpers gespeisten Widerwillen
gegen Äußerung. Keine Lust mehr, sich mitzuteilen. Er war,
weil er sich zierte und genierte und ministrantenhaft
aufführte, er war schuld, daß sie sich entblößt vorkam. Der kriegte keinen Traum mehr von ihr. Nicht den Fetzen eines Traums. Zu seiner Aufführung paßte, daß er sie immerzu als
Verheiratete adressierte. Mrs. Gutbrod! Her motherʹs dreams
come true. Hier ist man, unberingt, Ms.! Topic closed.
Ihr Widerwille gegen Äußerung war zwar durch ihn ge‐
speist, aber auch durch die Vorstellung, daß alles, was sie über La Mettrie schrieb, nicht nur Glen O. Rosenne gefallen
mußte, sondern auch Patricia Best. Beate ahnt, nein, sie weiß:
So, wie sie das erzählen will, will es Patricia Best nicht wissen. Les grandes pensées viennent du cœeur. Vauvenargue.
Solche Zitate schleppt sie an, damit Patricia Best der Wissen‐
schaft Gefühl erlaube. Aber da zündet die Kettenraucherin mit ihrem Zigarettenrest die nächste an und kneift die Augen
zusammen, als schmerze sie Beates Anblick. Beate kann
Patricia Best, wenn die von einer Sekunde auf die andere plötzlich ganz kühl wird, nicht gestehen, daß sie Denken ohne imagination nicht mag.
Weiß er, daß er eine Stimme hat, die nur mit dem Adjektiv
warm zu bezeichnen ist? Sie hofft, er wisse das nicht. Sie wünscht, sie könnte sich genau so zusammennehmen wie er.
In den Stimmungen, in die sie (wie sie glaubt) durch ihn gerät, ist sie sich selbst nicht sympathisch. Erst wenn sie mit
ihm telephoniert hat und er ihr augenblicksweise hörbar‐
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spürbar verfällt und sich dann umständlich wieder zurück‐
ruft in seine feineren Wälle, den Schmerz aber, den das bereitet, nicht verbirgt, sondern geradezu angeberisch
gesteht, erst dann kann sie sich wieder erträglich werden.
Wer am Telephon nicht unzurechnungsfähig wird, der
kommt nicht in Frage. Zum Glück stolpertstammelt er am
Telephon regelmäßig in eine nicht mehr gewollt wirkende
Unzurechnungsfähigkeit. Schreibend ruft er sich zurück.
Selbst da signalisiert er zwar, daß er sich lieber
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