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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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verloren: Empfängerin), ihr nach Hause
    zu schreiben, die UNC ist berüchtigt wegen ihrer lahmen
    Postverteilung. Auf das Angerufenwerden konnte die Ange‐
    rufene nicht verzichten, weil sie da die Gewählte war. Der Dortige aber hat in beiden Medien die gleichen Hemmun-gen. Die Empfängerin hat im vergangenen Jahr drei Heirats‐
    anträge empfangen. Könnten Mitteilungen dieser Art den
    Sender drüben ermutigen, sich in der Selbstzensur mäßigen zu wollen? The ball is in your court now. You have to determine the limits. Die kindliche Anhänglichkeit des

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    letzten Bewerbers hatte in ihr Weißglut produziert. So etwas
    erlebt zu haben heißt, es bei einem anderen vermeiden.
    Lʹexpérience und Lʹimagination. Andererseits pfeift sie auf Kontakt, wenn sie sich nicht eingestehen darf, daß sie bei Wendelin Krall Bestätigung suche (reassurance). Gegen Glen
    O. Rosenne. Bei dem gibt es Anerkennung nur in homöo‐
    pathischen Dosen. Zum Glück hat sie Patricia Best. Zu einem
    Doktorvater gehört eben auch eine Doktormutter. Ohne
    Patricia Best wäre sie längst nicht mehr hier. Wo sie dann wäre? Wo der Pfeffer wächst. Sagt man das noch? Patricia Bests Mutter ist 1937 an einem Freitag in New York
    angekommen, sechzehnjährig, mit zehn Mark, das waren
    zwei Dollar fünfzehn, und einer Leica, für die sie
    fünfunddreißig Dollar kriegte. Ihre Mutter hatte ihr die
    mitgegeben, hatte gesagt, dafür kriegst du hundert Dollar.
    Alle Emigranten haben Leicas mitgebracht. Patricias Mutter hat dann, sechzehnjährig, in einem Cheese Wholesale and
    Grocery angefangen, Juli 37, das sei der heißeste Sommer überhaupt gewesen, Patricias Mutter sollte die Bestellungen am Telephon entgegennehmen. Aber die kamen alle auf
    Jiddisch. Nach drei Wochen kapitulierte sie. Wegen der
    Zahlen. Sie konnte einfach die Zahlen nicht lernen. Patricia Best sagt, es gebe niemanden, der so zuhören könne wie
    Beate. Und ihre Mutter ist ja auch in Stuttgart geboren. Wie
    Beate. Obwohl Patricia Best nur einmal in Stuttgart gewesen
    ist, 1986, und dann beschlossen hat: Nie wieder! nennt sie Beate manchmal fast zärtlich: Meine Stuttgarterin. Auf
    Deutsch! Sie kann noch viel mehr Deutsch, als sie zugibt.
    Außer Beate hört kein Mensch ein deutsches Wort von ihr.

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    Auch Leo nicht, ihr Mann. Das hat sie Beate gestanden. Ja, das war ein Geständnis. Fast eine Liebeserklärung.
    Aber beide, Patricia Best und Glen O. Rosenne, warnen sie:
    Das sei Beates Schwäche, die Neigung, im Wissenschaft‐
    lichen in einen allzu persönlichen, gar privaten Ton zu
    verfallen. Aber Madelon, der Beate das hinweinte:
    Freuds Fallbeispiele sind bei weitem nicht bloß medizini‐
    sche Befunde, sondern höchst persönliche Geschichten, ihm
    dienend zur Selbstbeleuchtung. Aber dann, sagte Madelon,
    dann bricht er ab, wenn es brenzlig wird (when it hits home).
    Natürlich kann man, redet es in ihr, die Geschichte von Lessing bis Ursula Pia Jauch nachturnen und mit heute im historischen Kaufhaus billig zu erstehenden Farben nach-malen; nichts ist risikoloser als das: Heute nachbeten den Eifer der Fundamentalisten, die Aufklärer waren und Lessing und Diderot und so weiter hießen; nachbeten die Ent-wicklungen, die eher auf Wanderwegen und in den Toiletten
    feinerer Internate, eher in Salons und Kaschemmen als in den
    Hallräumen der Wissenschaft, gar der Philosophie, erbracht wurden; nachbeten, wie dieser Eifer feindseliger Toleranz-prediger inzwischen eher komisch wirkt und La Mettrie jetzt
    doch jedermanns (wenn auch noch nicht jeder Frau) Darling
    ist!
    Wut. Soweit sie sieht, kommt Wut nicht vor bei La Mettrie.
    Ihr Leben besteht aber aus Wut und aus den Versuchen, sich
    davon abzulenken. Die Wut ist die Mauer gegen Angst. Sie weiß, sie ahnt mehr, als sie weiß, daß in ihr die Angst lauert.
    Die tut so, als sei sie die Wahrheit. Alles andere sind Masken.
    Nur die Angst wäre das, was ihr entspricht. Die Angst und sie. Allein. Das wäre Wahrheit. La Mettrie hatte als der 64
    wahre Kolumbus genug zu tun mit der Entdeckung unserer
    unteilbaren Existenz. Dann folgt Freud mit Dora beziehungs‐
    weise Beate J. Gutbrod mit Wendelin Krall. Natürlich ist es ein Rückschritt, nach der Entdeckung unserer Unteilbarkeit wieder auf Unterbewußtsein und Über‐Ich zurückzufallen.
    Aber Hysterie beziehungsweise Wut sind, je näher wir sie bei ihrer Herkunft lassen, um so treuere Zeugen. Mad woman
    in the Attic. Das las sie mit Reingewinn! Also unterschlug sie nicht mehr,

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