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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ohne
    Hotel, ohne Professor Rosenne und so weiter, am ersten
    Abend der Zukunft. Gegenwart genügt, sagte er hartnäckig.
    Aber sie wollte jetzt mit ihm im Bett liegen, obwohl ihre Liege kein Bett sei, aber je enger sie lägen, um so schöner sei
    es.
    Sobald sie lagen, knipste sie das Fernsehen an, zur Um‐
    stimmung, sagte sie und verbesserte sich: Zur Einstimmung.
    Und da sie keine Kleidung zugelassen hatte, wußte er, was das hieß. Auf dem Bildschirm lag ein amerikanisches
    Ehepaar im Bett, das ein Fernsehprogramm anschaute. Das
    fand Beate super. Wir liegen im Trend, rief sie. Und griff nach ihm. Er sagte, die − und meinte die auf dem Schirm −
    seien aber noch nicht so weit. Wir sind Avantgarde, sagte sie
    und machte weiter an ihm herum. Themire, sagte er, du
    darfst gleich weitermachen, wenn dir nach dem, was ich dir
    sagen muß, noch danach ist. Sie zog ihre Hände weg, die Augen meldeten Angst. Also, die Umbuchung konnte er in
    diese erschrockenen Augen hinein nicht melden. Themire,
    sagte er noch einmal, ich glaube, ich muß einen Vortrag halten. Ich weiß, sagte sie. Was weißt du, fragte er. Du willst
    irgendwas sagen, was mir erklären soll, warum du dich bei mir nicht wohl fühlst. Du langweilst dich. Etwas geht dir auf
    die Nerven. Wahrscheinlich ich.
    Du willst nichts wissen von mir, sagte er. Du sagst, was du
    sagst, nur um zu verhindern, daß ich dir etwas sage.
    Bitte, sagte sie, sprich. Sie sagte das so, als wisse sie alles, was er sagen könne, im voraus.
    Er sagte, es ist, als sei vor ihm noch nie ein Mensch alt geworden. Was er erlebe, scheine noch nie erlebt worden zu

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    sein. Auf jeden Fall hat es ihm keiner gesagt, wie schlimm es
    sein würde. Auf jeden Fall hat auf ihn, was er bisher über das
    Altsein gehört hat, keinen Eindruck gemacht. Man kann nur
    jung oder alt sein. Er habe seit längerem geglaubt, er sei schon alt. Das war, wie er jetzt wisse, ein naseweises Anem-pfinden. Das einzige, was ein wenig in die richtige Richtung
    ging, war eine Art Mitleid mit Alten. Jetzt weiß er, der Junge
    kann nichts empfinden von dem, was der Alte empfindet. Es
    gibt kein Verständnis für einander. Der Alte versteht den Jungen so wenig wie der ihn. Es gibt keine Stelle, wo Jugend
    an Alter rührt oder in Alter übergeht. Es gibt nur den Sturz.
    Aus. Nachher bist du drunten und kannst tun, was du willst,
    du reichst nicht zurück. Mit nichts. Durch nichts. Ob du lachst oder schreist, ist gleichgültig. So zu tun, als könne man sich auf diesen Sturz vorbereiten, ist unsinnig. Dieser Sturz gestattet kein Verhältnis. Der einzige Mensch, der ihn, wenn
    es darauf ankäme, verstünde, wäre Magda. Er habe nie den
    Mut gehabt, Magda seine Lebensschwierigkeit vorzutragen,
    sie wäre die einzige, die ihm, ohne urteilen zu müssen, zuhören könnte. Was macht sie, fragte Beate. Sie arbeitet in einem Steuerbüro, sagte Gottlieb, hat sich spezialisiert auf Umsatzsteuer. Lebt mit einem schwarzen Amerikaner
    zusammen. Der ist, als seine Einheit auf dem Balkan Krieg führen sollte, bei ihr untergeschlüpft. Will bei ihr bleiben.
    Für immer. Hat nichts gelernt, außer vier Jahre Army. Vorher in San Antonio Telephonverkäufer für ein Reinigungs‐
    mittel, sechs Dollar die Stunde, zweihundert Stunden pro
    Monat am Apparat. Sieben Jahre jünger als sie. Man hat sie nicht gefragt, warum sie diesen Bob aufgenommen hat, sie hat von sich aus gesagt: Er hing in der Luft.

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    Schweigen.
    Ach, Beate, sagte er dann, wohin flieht man, wenn das
    Ende sich aufdrängt? Dahin, wo es am krassesten klar wird,
    daß man am Ende ist, zu Beate, nach Amerika. Das sind
    seine Empfindungsdaten. Geliefert von seinen Philosophen,
    von seinen Sinnen also. Er habe den Rückflug um eine
    Woche vorverlegt.
    Er hätte sowieso nicht weitergesprochen. Aber sie schrie
    auf, sprang auf, übrig blieb ein längeres Nein.
    Auf dem Bildschirm lag das Paar immer noch im Bett, aber
    der Mann hatte sich zur Seite gedreht, weg von der Frau, offenbar weinte er, es schüttelte ihn geradezu vor Weinen, die Frau kniete hinter ihm, machte ein ratloses Gesicht und streichelte ihn wie einen Kranken. Gottlieb beneidete diesen
    Mann.
    Sie hatte den Kimono an, dessen Schwarz und Silber noch
    nie so gut gepaßt hatten wie jetzt, als sie sich krümmte und
    bog und mit den Fäusten auf das Sofa eintrommelte.
    Sie würde die Nacht auf dem Sofa verbringen, er würde auf
    der Liege ausharren. Er trank die Flasche Bourbon leer.
    Plötzlich stand er auf,

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