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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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weiter.
    Wie ihr jetzt offenbaren, daß er den Rückflug auf den
    nächsten Tag vorverlegt hatte?! Irgendwann, als sie gegessen
    und getrunken hatten und aneinandergeschmiegt lagen, fing
    er an, über Rick Hardy zu staunen. Lobte ihn. Eine CIA‐reife
    Leistung. Und was sie, Beate, betreffe, bitte, sie könne doch froh sein, daß sie diesen Dr. Douglas los sei. Wahrscheinlich
    sei Beate jetzt eifersüchtig. Mit diesem therapeutischen
    Beischlaf habe Dr. Douglas auch Beate betrogen. Da sprang sie auf, nannte das einen absurden beziehungsweise typisch
    männlichen Kommentar. Wie und wo sie diese Nachricht
    getroffen habe, wisse sie selber noch nicht. Wie bei einem Todesfall werde sie wahrscheinlich erst im Lauf der Zeit den
    Verlust empfinden. Da konnte er sagen − und daß er das sagen konnte, wunderte ihn selbst −, daß er das leider nicht
    mehr miterleben dürfe. Sie schaute erschreckt. Er hielt ihr sofort die Augen zu und sagte: Ja, umgebucht, noch einmal,
    morgen. Sie riß sich los, warf sich in die andere Sofaecke, zog
    die Beine an, umfaßte ihre Knie und legte den Kopf auf ihre
    Knie. Gottlieb fiel die kauernd schlafende Magda ein, von Anna geheilt. Beate weinte nicht, sagte nichts, rührte sich nicht. Einmal ein Wort: Verstoßen. Und irgendwann zwei
    Wörter: Nie mehr. Auf dem Sofatisch lag ein dickes
    Ringbuch: The Graduate School. Darunter: The University of 200
    North Carolina at Chapel Hill. Das hatte sie offenbar mitgebracht. Er hätte gern darin geblättert, gelesen, aber er wußte,
    daß er sich nicht rühren durfte, bevor sie sich nicht rührte.
    Nicht rühren durfte oder nicht rühren konnte? Um seiner
    menschlichen Zurechnungsfähigkeit willen entschied er sich
    für: nicht rühren konnte. Solange du dich nicht für einen guten Menschen hältst, ist dir nichts vorzuwerfen. In a clear,
    firm voice: I abused the System I believed in and I will never
    forgive myself. Dann ist ja alles gut. Schuldgefühl, bitte. Freie moralische Marktwirtschaft. Oh Gottlieb. Oh Wendelin. Oh
    Zürn. Oh Krall. Krümme dich, bis du dich wohlfühlst.
    Sie rührte sich zuerst. Sie mußte aufs Klo. Sie tat das, was
    sie pinkeln nannte, bei offener Tür. Was zu hören war, klang
    tröstlich. In ihm buchstabierte es sich so: Die Sehnsucht, heimzukommen, scheint größer zu sein als die Sehnsucht,
    von daheim fortzukommen. Real Estate könnte man auch übersetzen mit Der wirkliche Stand.
    Daß er sich nicht von ihr im rührend alten Pontiac zum Flughafen fahren ließ, deutete sie so: Er habe Angst, der Pontiac sei auf ihrer Seite, werde also die fünfzehn Meilen zwar angehen, dann aber plötzlich streiken, daß Herr Zürn das Flugzeug versäume. Er sagte, das sei die fast poetische Deutung einer eher realen Möglichkeit. Das letzte, was sie, als das Taxi schon wartete, sagte, war: Nie mehr. Das
    verspreche ich mir. Nie mehr.
    Er sagte: Viel Glück bei La Mettrie. Sie bohrte ihr Zei-gefingerchen an die Schläfe und drehte sich weg. Drehte sich
    wieder her und sagte: Die Diss geschmissen, auf die Diss geschissen, adieu, Herr Dr. Zürn.

    201
    Im Taxi beschäftigte ihn eine Utopie: Nach der Geburt eines
    Menschen wird das Datum in einer Datei gespeichert, die
    durch einen PIN‐Code zugänglich ist, der nur den Eltern
    bekannt ist. Sie können ihn dem Kind weitergeben oder
    nicht. Sie können das Kind von Anfang an ohne
    Zahlengerüst aufwachsen lassen.
    Der Wechsel der Luftlinie wurde nicht nur teuer, sondern auch schwierig. Die Deskdame in Washington‐Dulles, die
    ihn endorsen sollte, wollte davon abschrecken mit dem
    Hinweis, das Gepäck könne, wenn er jetzt mit einer anderen
    Gesellschaft fliege, vielleicht zurückbleiben. Un‐identifi‐
    ziertes Gepäck werde nicht befördert. Bei all den Terroristen.
    Aber er gab nicht nach. Sie mußte telephonieren, bis alles okay war. Er zahlte und zahlte und freute sich, als der Kapitän sagte, daß sie mit Rückenwind flögen. Extraservice:
    Manhattan bei Nacht. Der Kapitän: Seit Monaten kein so
    schöner Nachtflug. Die Avenues und die querlaufenden
    Straßen ergaben eine genaue Goldgeometrie. Manhattan ist
    ein Goldkäfig, in dem Schwärze gefangen gehalten wird.
    Bevor er müde wurde, schaute er noch frühe Anna‐Bilder
    an, die er immer dabei hatte, aber fast nie mehr anschaute.
    Anna vor so vielen Jahren. Daß sie so schön war, hatte er, als
    sie noch so schön gewesen war, nicht bemerkt. Da Schönheit
    immer hieß, denen zu ähneln, die gerade als schön gehandelt
    werden,

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