Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Schlagzeilen intonierte. Er mußte mitspielen, also sagte er: Grund? Sie: Rohes Vergessen des Augenblicks der Liebe.
    Vergessen des Sonnenblumenaugenblicks. Er dachte daran,
    daß die runde umflammte Sonnenblumendunkelheit ihn an
    Annas Augen erinnert hatte. Seitdem waren Annas Augen
    nicht mehr das Meer, sie waren die Sonnenblumendunkel‐
    heit.
    Dein hellblaues Cordhemd und meine Sonnenblume, das
    warʹs überhaupt, sagte Beate. Das war doch van Gogh. Daß er in der Zeit der Trennung gelegentlich gesagt habe, die Sonnenblume sei immer noch nicht im Müll, habe in ihr jedes
    Mal wie ein Gefühlsschub gewirkt. Zu solchen poetischen
    Erfindungen sei nur die Liebe fähig.
    Jetzt mußte er ihr doch sagen, daß ihre Sonnenblume
    wirklich noch im Wasserkrug stehe und auch noch leuchte.
    Auf der Fensterbank. Die Terrasse sei ja doch eine warme ins
    Haus hineingebaute Nische. Den Rest müsse Anna bewirkt

    187
    haben. Natürlich, sagte sie, Anna, die Hexe. Daß du sie, warʹs
    an dir gewesen, verbrannt hättest, ist mir klar, sagte er. Er habe sich gehütet, sich über das Fortleben der Sonnenblume
    zu deutlich zu wundern. Bitte, wenn Anna träumt, daß es Julia schlecht gehe, ruft sie morgens an und hört, Julia wisse
    vor Magenschmerzen nicht mehr ein noch aus, überhaupt
    nicht mehr liegen könne sie, nur noch in der Hocke kauern,
    Anna diktiert: Ringelblumen‐Tee, dreimal Heilerde, und
    geheilt ist Julia. Anna, die Zaubererin, sagte Beate. Und gab
    ihm eine sanfte Ohrfeige. Ja, sagte er, schlag mich ruhig.
    Aber ich glaube, Anna hält deine Sonnenblume am Leben,
    solange wir, du und ich, einander lieben. Und wenn du mal
    morgens vom Bett aufstehst und tot umfällst, wissen wir, daß Anna aufgehört hat, an dich zu denken, sagte sie. Und grinste. Und sagte: Der schönste Augenblick dort sei der an
    der Gartentür gewesen, als die Tür so grell kreischte. Ob er die inzwischen geölt habe, daß sie nicht mehr kreische? Hat
    er nicht. Sie hätte ihn, wenn er dieses Kreischen aus der Welt
    geschafft hätte, jetzt sofort hinausgeschubst, daß er die Nacht
    im University Motor Inn verbringe.
    Was denkt sie eigentlich von ihm! Sie habe doch gesagt, das
    Kreischen sei so schön schrill und habe bei schrill drei lʹs lang ihre Zungenspitze so entblößt, daß er sofort an ihr
    hinunterschauen mußte und erst wieder Halt fand an dem
    Schlangeniedermuster ihrer Schuhe. Was heißt schon Halt.
    Er fühlte sich hineingestoßen in den Dschungel des Lebens.
    Aber in einen raffinierten Dschungel. Nachher habe er
    versucht, ihre hochmanierierten Absätze zu zeichnen. Das
    ging nicht. Nicht weil er zu unbegabt sei, sondern weil Anna
    in jedem Augenblick hereinkommen konnte. Und auf alles,

    188
    was nicht eingeführt ist zwischen ihr und ihm, reagiert Anna
    mit Fragen. Und vor denen, sagte Beate, hatte mein Feigling
    Angst. Ich liebe dich trotzdem, sagte sie. Und wie! Wann heiraten wir?
    Jetzt packen wir zuerst einmal aus, sagte er. Aber dann packte nur sie aus. Er konnte nicht. Er hätte ihr doch längst
    den Traum mit dem Anwaltmädchen erzählen müssen. Den
    Traum in der Nacht, bevor sie kam. Dazu war es jetzt zu spät. Er sah zu, wie sie die Kleider und Kleidungen, die sie in
    Kalifornien nicht getragen hatte, wieder dem Schrank
    anvertraute. Er hätte jetzt am liebsten gesagt, dieses Kleider‐
    aufhängen erinnere ihn an Anna. Er mußte sich beherrschen.
    Anna und Beate hatten einiges mit einander gemein. Das
    Lichtbrennenlassen, das Wasserlaufenlassen, den Herd und
    das Bügeleisen eingeschaltet lassen auch. Und Anna konnte soviel, was sie nie gelernt hatte. Beate auch. Da waren sie einander näher als ihm. Er konnte soviel nicht von dem, was
    er gelernt hatte. Er mußte jetzt sagen − und er intonierte deutlich tiefer −, er habe in Kalifornien etwas versäumt. Sie:
    Jetzt sag es schon. Er habe, sagte er, im Fernsehen gehört, daß Selbstmord in Kalifornien noch nie als strafbar galt. Er mußte jetzt einfach düster daherreden. Er wollte ihr
    mitteilen, daß er den Rückflug eine Woche vorverlegt habe, also nur eine Woche in Chapel Hill bleiben könne. Und
    schaffte es nicht. Nahm einen zweiten Anlauf: Was wollte ihr
    Mr. Hardy mit dem Eliot‐Zitat, große Dichter stehlen,
    schlechte kopieren, was hatte das mit seinem Vortrag zu tun?
    Und sie: Weiß der Geier. Ihm fiel auf, daß er sagen würde: Weiß Gott ... Gott durch Geier zu ersetzen, hielt er für übertrieben. Dazu fiel ihm ein, weiß Gott, warum, daß sie

Weitere Kostenlose Bücher