Der Augenblick der Wahrheit
mißtrauisch. Laila schien ihm nämlich das Künstlermilieu nicht richtig von innen zu kennen. Ich meine jetzt besonders in den Achtzigern, als Gorbatschow an die Macht kam. Glasnost und diese Sachen. Aber bei Laila gab es Löcher. Es gab Dinge, die sie hätte wissen müssen, Menschen, die gemeinsame Bekannte hätten sein müssen, bei denen es bei ihr nicht klingelte, wenn ihre Namen genannt wurden. Als ihr mein Kollege dann das Interview vorlas, verbot Laila Jyllands-Posten den Abdruck. Weil die Zeitung andeutete, daß Lailas Wissen von moderner russischer Kunst eventuell ein bißchen mangelhaft sei. Das war halt ein Fehler. Sich einfach so zu weigern, daß das Interview gebracht wird. Du weißt ja, wie furchtbar mißtrauisch wir Journalisten dann werden, nicht?«
»Ja«, sagte ich und fing an zu lesen, während Klaus zu irgendeiner Besprechung ging. Dem Durcheinander in seinem Zimmer zum Trotz herrschte in seinen Ausschnitten peinliche Ordnung. Sie waren chronologisch abgelegt und erzählten die Geschichte bis zu Lolas Verschwinden mit oder ohne Geld.
Sie war verpflichtet worden, als das neue Kunstmuseum fast fertig war. Die dänische Kunstszene war völlig überrascht gewesen. Besonders das Milieu, das von der Kunst lebt –
Bürokraten, Kritiker, Meinungsmacher, Lektoren, Professoren.
Die Kulturministerin war begeistert, jemanden von außen und überdies eine Frau gefunden zu haben. Lolas Biographie war ja auch imponierend: Studien an der Sorbonne und Moskaus Kunstakademie, Kunstakademie London, Mitinhaberin einer renommierten Galerie in New York, Kontakte in der internationalen Kunstszene. Sie hatte sich ein paar Jährchen jünger gemacht, wie ich feststellte, und behauptet, sie sei die Tochter einer Dänin und eines englischen Lords. Die Ehe mit dem russischen Künstler Petrow, von dem sie den Nachnamen hatte, blieb kinderlos. Er war in St. Petersburg vor die Hunde gegangen, hatte sie einem Journalisten verraten, nachdem sie kurz zuvor gesagt hatte, sie würde nie über ihr Privatleben sprechen. Er wurde nicht damit fertig, im materialistischen neuen Rußland als Künstler zu leben. Mein Gott, wie traurig.
Um 1987 herum wurde sie geschieden. Auf den Fotos ist sie attraktiv und gut gekleidet, in einem klassisch-modernen Stil, sie hatte sich ein gewisses Grace-Kelly-Flair zugelegt, das etwas altmodisch wirkte, aber vermutlich gerade deshalb vertrauenerweckend. Lola spreche, stand in den ersten Porträts, die über sie erschienen, ein schönes, etwas altertümliches, vornehmes Dänisch, das an die Sprache der Königin erinnere.
Was sicher als Kompliment gemeint war. Auf den Fotos macht sie sich blendend, und man sieht, wie die etwas älteren Politiker mit ihren breiten, schreienden Schlipsen und zu engen Jacketts sie bewundernd anstarren. Sie hatte eine gute Presse bekommen.
Sie hatte sie alle um den Finger gewickelt.
Gute Presse zur Eröffnung des Museums. Gute Presse zur ersten Ausstellung. Dann erschienen die ersten kritischen Artikel. Mitarbeiter kündigten. Sondermittel mußten bereitgestellt werden. Das Reisebudget war überzogen. Ein Vortrag an der Kunstakademie wurde zur Farce, da die Professoren meinten, sie habe von ihrem Thema keine Ahnung.
Schließlich kam die Enthüllung. Ein Beitrag auf der ersten Seite berichtete, daß Laila Petrowa nicht die war, für die sie sich ausgab, und daß die Auswahljury ihre Zeugnisse nie gesehen hatte, weil sie sie nie darum gebeten hatte. Nüchtern und spannend wie ein Kriminalroman erzählte ein ganzseitiger Artikel, wie sie das gesamte Establishment über den Tisch gezogen hatte. Es war ein einfaches, aber hervorragendes Stück journalistischer Arbeit. Stunden am Telefon mit Anrufen nach Paris, wo Le Monde nichts davon wußte, daß sie für diese Zeitung über Kunst geschrieben haben sollte, und weiter über London bis nach New York und Moskau. Überall die gleiche Antwort: Laila Petrowa hatte sich immer in und im Umkreis der Kunstszene bewegt, und viele konnten schöne Dinge über sie erzählen, aber sie hatte keinerlei Papiere, nichts. Sie hatte das Establishment schlicht übern Löffel balbiert. Sie hatte damit gespielt, daß Menschen, die von Kunst eigentlich nichts wissen und vielleicht von moderner Kunst überhaupt nichts verstehen, gern so tun, als wüßten sie eine Menge, und da sie es sich nicht erlauben können, ihr Unwissen zuzugeben, sind sie leicht zu bluffen, wenn man sein Blatt eiskalt auszuspielen wagt. Sie waren leichte Opfer einer Kapazität
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