Der Augenblick der Wahrheit
Proletariats soll selber zum Proleten werden. Und das wird Oscar nicht schaffen. Er liebt das gute Leben. Also, hör auf, ihn totschlagen zu wollen, ja?«
Es war ein absurdes Gespräch, aber einen Sinn ergab es dennoch.
»Das kann ich dir nicht versprechen«, sagte ich.
»Das mußt du aber. Wegen unserer Gemeinsamkeiten. Damit nach den vielen Jahren etwas bleibt. Damit nicht alles im Morast endet.«
»Was willst du tun?«
»Ich? Ich bin Anwältin. Ich habe die Schlüssel der modernen Gesellschaft zur Macht. Ich sperre die Konten. Zu den meisten hat er ja ohne meine Unterschrift keinen direkten Zugriff. Ich lasse die Ehe auflösen, dann verliert er jeden gemeinschaftlichen Anteil. Ich strenge ein Betrugsverfahren vor Gericht an. Morgen sperre ich Kreditkarte, Konten, Überweisungsrecht – du kannst die Liste selber fortsetzen. Ich werde das Profil eines Kreditunwürdigen in die ganze Welt verschicken. Ich teile allen unseren Kunden und deren Kunden mit, daß Oscar ein falscher Fuffziger ist und seine Unterschrift keine hundert Peseten wert ist. Er ist mit einigem Geld stiftengegangen, aber bei Oscars Verbrauch ist das in einer Woche verjubelt. Selbst wenn er was beiseite geschafft hat. Ich tue ihm das an, was er nicht ertragen kann. Ich mache ihn arm und enterbe ihn. Ich mache ihn zu einer Unperson. Ich will ihn aus einem spanischen Gentleman in einen ostdeutschen Verlierer verwandeln. Und die Rache darfst du mir nicht vermasseln, aber du darfst ihm liebend gern feste in die Eier treten und einen schönen Gruß von mir bestellen.«
Ich konnte mich nicht enthalten zu lächeln. Gloria war in mancher Hinsicht einfach too much, aber sie hatte ihr ganzes Leben lang gekämpft, und es konnte gut sein, daß sie weinen würde, wenn ich gegangen war, aber kein Mann sollte sie auf Knien sehen, und schon gar nicht ein Mann, den sie einmal geliebt hatte.
»Okay, Gloria, du bist ein zähes Mädchen.«
»Allerdings. Und ich sehe immer noch passabel aus, und wenn ich nach dem Tiefschlag wieder Luft kriege, aktiviere ich ein paar alte Liebhaber. Er zwingt mich nicht in die Knie. Ich gönn ihm den Sieg nicht. Ich kenne ihn. In einem Monat wird er mich bis zur Bewußtlosigkeit vermissen, und die Kebse, mit der er zusammen ist, wird einen Tritt in den Arsch kriegen. Soviel Doppelmensch ist kein Mensch. Stimmt’s oder hab ich recht, Pedro?«
»Stimmt, Gloria. Kann ich dich allein lassen? Oder soll ich hierbleiben?« sagte ich.
Sie trank ihren Kaffee aus und setzte ihre Tasse eine Spur zu heftig auf den Tisch. Sie konnte immer noch einen Zusammenbruch haben, aber sie drückte das Kreuz durch und sagte: »Entweder gehst du jetzt, Pedro, oder du gehst mit mir ins Bett.«
Ich stand auf, ging zu ihr und küßte sie brüderlich auf den Mund, zog aber meinen Kopf zurück, als sich ihre Zunge gierig in meine Mundhöhle zwängte.
Gloria lächelte und gab mir einen sanften Stoß.
»Die Dänin?«
»Vielleicht.«
»Wenn du die Liebe wiedertriffst, Pedro, dann nimm sie an.
Sei nicht blöd und laß sie vorübergehen. Die Liebe ist das einzig Reine in diesem Leben. Und nun geh und ruf mich jeden Tag an.«
»Gloria, du weißt, daß ich dich herrlich finde …«
»Nun hau schon ab und ruf mich an!«
Ich stand auf.
»Schaffst du’s?« fragte ich.
»Entweder besaufe ich mich oder telefoniere in der Weltgeschichte rum, aber das geht dich nichts an. Jetzt sei lieb und geh endlich!«
Ich nahm ein Taxi nach Hause und rief Clara an, aber entweder war sie noch nicht angekommen oder sie hatte den Stecker herausgezogen. Nicht einmal der Anrufbeantworter funktionierte. Ich trank ziemlich viel Whisky, aber als das kaputte Gesicht des Oberstleutnants mir zu deutlich vor Augen stand, hörte ich auf, ehe es bodenlos wurde, und wankte mit dem Tonfall eines meiner dänischen Lieblingsgedichte im Ohr ins Bett. Es war eine Strophe aus Tom Kristensens Debütsammlung, die es mir als jungem Mann vor allem wegen ihres Titels Freibeuterträume angetan hatte. Die Worte »Die Welt ist wieder chaotisch geworden« rumpelten in meinem Kopf, und ich war völlig verzweifelt, daß mir die zweite Zeile nicht einfiel. Ich hatte keinen Schimmer, warum mir diese Zeile ums Verrecken nicht einfiel. Und ich konnte mich in meinem Suff nicht erinnern, wo ich meine paar dänischen Dichter in Don Alfonzos umfangreicher Bibliothek hingestellt hatte. Sie waren im unorganisierten Durcheinander der Regale verschwunden, und mit zitternden Beinen gab ich es auf, die nächste
Weitere Kostenlose Bücher