Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
Vom Netzwerk:
drüben haben versucht, Mischa zu verurteilen, ich weiß nicht, wie oft. Ist ihnen nicht gelungen. Jetzt gib mir die Flasche.«
    »Falls Oscar und Lola das Verbindungsglied zwischen der DDR und den Terroristen von RAF, ETA, IRA und Roten Brigaden gewesen sind, falls nun die beiden, unter ihrem jeweiligen Deckmantel, der alle legalen Möglichkeiten für Reisen und Treffen quer über die Landesgrenzen hinweg bot –
    falls nun die beiden Schlüsselfiguren des roten Terrors waren?
    Was dann, Herr Oberstleutnant? Ist das auch verjährt und nicht strafbar in der Bundesrepublik Deutschland? Oder in Rom oder in London? Was meint der Oberstleutnant in diesem Fall?«
     
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    »Wäre man nicht bereit, sehr weit zu gehen, um nicht entdeckt zu werden?« fragte ich. »Wäre man bereit zu morden, um seine eigene Haut zu retten, nachdem der Krieg verloren wurde? Und der Frieden gekommen ist? Ich habe Angst, daß es so ist.«
    Wieder langte er nach der Flasche. Mir wurde übel beim Anblick der verrotzten, blutverschmierten Visage und dem Geruch seines sauren, alkoholstinkenden Körpers. Ich bemerkte, daß er sich auch in die Hose gepißt hatte. Seine Füße standen in einem See.
    »Würde man nicht sehr weit gehen?«
    »Selbst wenn du recht hättest, wird man es nie beweisen.
    Alles, was die brüderliche Hilfe im Kampf gegen den Imperialismus im Herzen des Imperialismus betrifft, konnten wir vernichten, ehe der Pöbel die Macht übernahm. In Moskau sind die Archive geschlossen. Die Russen sind klüger als wir. Es gibt da keine Unterlagen mehr. Alles weg. Verbrannt oder eingestampft. Makulatur in dicken Säcken. Als wenn es nie stattgefunden hätte. Wie die Mauer. Weiß man’s, ob wir nur geträumt haben, sie gebaut zu haben? Vergangen, vergessen, und jetzt gib mir zum Teufel noch mal die Flasche!«
    Ich mußte vor Gericht nichts beweisen, und er hatte meine Frage im Grunde bejaht, deshalb hielt ich ihm die Flasche hin, und als er danach griff, packte ich seine Hand und knickte sie nach hinten. Er stürzte auf den Boden in seine eigene Pisse, und während er vor Schmerz über die zwei, drei gebrochenen Finger heulte, leerte ich den Inhalt der Flasche über ihn.
    »Prost, Oberstleutnant«, sagte ich. »Wenn du gleich in Madrid anrufst, grüß Oscar und sag ihm, daß Leica auf dem Weg ist, um das Bild von ihm aufzunehmen.«
     
    22
    Am nächsten Morgen im Flugzeug nach Madrid hatte ich Zeit, Claras Rat zu befolgen und nachzudenken. Aber ich dachte mehr über vergangene als über kommende Dinge nach. Vor meinem inneren Auge lief ein Film meiner vielen Jahre mit Gloria und Oscar ab, ein Strom schöner Erinnerungen, und ich überlegte, ob Gloria vom Doppelleben ihres Mannes wußte oder ob sie ebenso ahnungslos war wie ich. Kann man seinem Ehepartner so viele Jahre lang eine doppelte Identität verheimlichen? Was wissen wir Menschen eigentlich voneinander? Hatte Oscar, wie ich ihn in meinem inneren Film weiterhin nannte, seine Untreue nicht als Schutzschild gebraucht, während er für die Stasi arbeitete? Als Deckmantel seiner echten Identität? Verhielt es sich mit Lola ebenso?
    Brannte ihr der Boden unter den Füßen, als die Journalisten nach ihren Examina fragten? Sie wußte ja, daß ihr Leben ein in der Normannenstraße fabrizierter Mythos war. Und was war mit Gloria? War sie ein Teil des Ganzen? Ich wußte es nicht. Es war wie ein Gewirr von Spiegeln. Man wußte nicht, ob das, was man sah, das richtige Spiegelbild war oder das Spiegelbild eines Spiegelbilds. Es war wie der Spiegelsaal im Tivoli. Man hatte ein bestimmtes Aussehen, aber die Spiegel zeigten etwas anderes. Sie veränderten den Körper, wie die Geheimdienste ganze Leben und Identitäten verändern konnten. Ein Maskenspiel ohne Garantie, daß man um Mitternacht klüger war, wenn die Masken fielen und nur wieder neue Masken enthüllten. Ich wußte nur, daß ich Gewißheit haben wollte. Ich wollte den Fall abschließen und Oscar ins Grab bringen. Aber war ich dazu imstande, wenn es darauf ankam?
     
    Clara hatte im Zimmer gewartet und erschrak, als sie mein Gesicht sah. Ich hatte ihr alles in allen Einzelheiten erzählt, langsam und leise.
    »Du hast einen alten Mann verprügelt?« hatte sie gefragt.
    »Ja«, hatte ich in einem Anflug schlechten Gewissens gesagt.
    Sie war zu mir gekommen, hatte mich umarmt und geflüstert:
    »Armer, armer Peter.«
    Ich hatte sie von mir weggeschoben und ihr in die Augen gesehen und gefragt: »Hast du das

Weitere Kostenlose Bücher