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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Zeile und vielleicht den Sinn des Gedichtes zu finden, obwohl ich es eigentlich mehr als gut verstand. Deshalb spukte es ja wohl auch in meinem Kopf herum.
    Derek in London half mir weiter. Er hatte viel in Moskau gearbeitet, und als ich ihn anrief und ihm sagte, ich brauchte einen Kontaktmann oder genauer: einen, der was für mich arrangieren könne, wußte er, wovon ich sprach. Er fragte nach Oscar und Gloria, und ich sagte, es gehe ihnen gut. Mir selber gehe es auch gut, ihm im übrigen auch, sagte er, so daß es also allen so richtig gutging. Als wir mit dem rituellen Tanz fertig waren, sagte Derek: »Was brauchst du?«
    »Jemanden, der einen Mann für mich findet, ihn mir zeigt und sich wieder entfernt.«
    »Okay. Du bist wieder im Rennen, was, Lime?« sagte er.
    »Genau das.«
    »Ich mag ja nicht fragen, wer das Ziel ist, aber ich tu’s trotzdem.«
    »Jesu Wiederkunft in Moskau«, sagte ich.
    »Gut. Das ist ein Bild genau für dich, aber könnte ja sein, du brauchst einen Partner.«
    »Du weißt, daß ich immer allein arbeite, Derek«, sagte ich.
    »Schon gut. Also, ich hab ein paarmal einen Typen genommen. Er ist zwar ’n bißchen angsteinflößend, aber richtig gut, und er kostet …«
    »Geld spielt keine Rolle«, sagte ich.
    »Okay. Er muß schon ein paar tausend Dollar pro Tag haben, plus Finderlohn.«
    »Geht in Ordnung. Was ist er für ein Typ?«
    »Lime! Er ist ein ›neuer Russe‹. Ehemaliger Elitesoldat oder KGBler oder was weiß ich. Die findest du überall in Moskau.
    Die meisten von denen sind Kroppzeug, aber der ist gut. Er nennt sich, wie sich alle nennen, aber er liefert die Ware wirklich. Vielleicht gehört er zur Mafia, vielleicht ist er bloß Geschäftsmann. Im heutigen Moskau sind die Grenzen etwas fließend. Er besitzt ein Security & Consulting-Unternehmen, wie alle anderen auch. Was weiß ich? Ich habe keine Ahnung, was dahintersteckt. Aber er hat immer geliefert.«
    »Gut, Derek«, sagte ich. »Gib mir seine Nummer …«
     
    »Außerdem ist er ein bißchen eigen«, sagte Derek. »Er ist mit seinen Kunden sehr vorsichtig, das heißt, du mußt ihn zuerst anrufen, dann ruft er dich an, wenn er dich gecheckt hat, und er ist nicht immer zu erreichen.«
    »Okay, Derek. Ruf ihn an. Sag ihm, es eilt. Sag ihm, es handelt sich um ein Geschäft, das jetzt abgeschlossen werden muß. Dann hast du bei mir was gut.«
    Dereks zigarettenrauhes Lachen drang klar durch die Leitung.
    »Forget it, Lime. Du hast mich ins Spiel gebracht. Ich hab bei dir noch massenhaft Schulden. Du schuldest mir keinen Fatz.«
    »Sag, es eilt«, sagte ich.
    »Pronto. Und grüß Oscar und Gloria und sag ihnen Dank für einen schönen Abend in London.«
    »Wird gemacht«, sagte ich. »Ich grüße sie.«
    Es vergingen einige Tage, an denen ich in Don Alfonzos Haus, das ich noch immer nicht ganz als mein eigenes ansehen konnte, herumgeisterte und gegen das Verlangen nach Schnaps ankämpfte. Ich versuchte, die vielen Bücher in eine alphabetische Reihenfolge zu bringen, und verzehrte die Mahlzeiten, die mir Dona Carmen jeden Tag pflichtschuldig zusammenstellte. Nach Don Alfonzos Tod war sie auch weiterhin gekommen, und ich brachte es nicht übers Herz, ihr zu kündigen. Clara rief ich nicht noch einmal an, aber ich telefonierte mehrmals am Tag mit Gloria. Ihre Stimme hatte einen kaum merklichen Knacks bekommen, aber sie redete so geschäftsmäßig von ihrer Befreiung von Oscar, als wäre der juristische Sumpf eine selbstgewählte wesentliche und herausfordernde Aufgabe. Es handelte sich darum, die Ehe aufzulösen, und das in einem erzkatholischen Land, einige Konten per Gerichtsbeschluß sperren zu lassen und von Herrn Weber und anderen Herren Aktenunterlagen aus den staubigen Archiven der DDR einzuholen. Die Arbeit hielt sie aufrecht, und sie klang wie ein Mensch, der nach dem sinnvollen Abschluß des Prozesses zusammenklappen würde. Wir waren ein trauriges Pärchen.
    Endlich an einem Vormittag rief Sergej Schuganow an. Sein Englisch konnte von einem der besseren englischen Internate stammen, war aber wohl eher das Ergebnis der alten Moskauer Sprach-und Diplomatenschule und eventuell einer Anstellung in der Londoner Botschaft.
    »Sie wünschen, mit mir ein Geschäft einzugehen, Mr. Lime?«
    sagte er.
    »Ich möchte gern, daß Sie für mich einen Mann finden. Es dreht sich um …«
    Er unterbrach schnell, aber höflich.
    »Sorry, Mr. Lime. Ich bespreche Geschäfte nicht am Telefon.«
    »Wo können wir uns sehen?« fragte

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