Der Augenblick der Wahrheit
letzte Mal in Moskau waren, ist eine Menge passiert.«
»Das sehe ich«, sagte ich.
Wir stiegen aus und gingen in die Lobby. Hier hatte sich nicht viel verändert. Es wimmelte von Menschen. Eine Gruppe Touristen versuchte sich anzumelden. Zwei Frauen am Empfang waren in ein offenbar unaufschiebbares Privatgespräch verwickelt, eine dritte guckte ihnen zu, während eine vierte die Papiere der großen französischen Gruppe zu ordnen versuchte, die ihre Zimmerschlüssel erhalten sollte. Die Angelegenheit schien den ganzen Abend in Anspruch zu nehmen.
»Ihre Papiere, bitte«, sagte Igor, und ich reichte ihm meinen Paß und mein Visum. Er ging zum Empfangstresen und sagte etwas zu den beiden ins Gespräch vertieften Damen. Sie ignorierten ihn, und er fügte noch etwas hinzu, diesmal in einem strengeren Ton. Auf der Stelle unterbrachen sie ihre Unterhaltung, und die eine nahm meine Papiere, überreichte ihm eine Codekarte und lächelte bedauernd.
Wir fuhren in den neunzehnten Stock, gingen einen langen Gang entlang, und Igor klopfte an die Tür, trat zur Seite und ließ mich vor. Wir traten in einen großen Salon mit Schreibtisch und Konferenztisch. Es war eine hübsche Suite mit Doppelbett im angrenzenden Zimmer. Sie schien zwar modernisiert zu sein, hatte aber weiterhin die roten und braunen Farben, die schon die Sowjetunion zu ihren liebsten gezählt hatte. Es gab eine Minibar, einen Fernseher und ein Schild, das Satellitentelefon versprach. Und es gab Sergej Schuganow.
Er trug wieder seinen makellosen Anzug, er reichte mir die Hand und sagte: »Willkommen in Moskau, Mr. Lime. Nehmen Sie sich einen Drink und lassen Sie uns dann mit der Arbeit anfangen. Ich vermute, Sie sind ein ebenso beschäftigter Mensch wie ich.«
»Zweifellos«, sagte ich und ließ seine Hand los, um eine kleine Whiskyflasche aus der Minibar zu nehmen, aber Schuganow schüttelte den Kopf, nahm eine Flasche russischen Wodka, füllte ein Schnapsglas und hob sein eigenes.
»Prost. Auf eine gut ausgeführte Operation«, sagte er, und wir leerten unsere Gläser. Der Wodka schmeckte gut, scharf und sehr russisch.
»An die Arbeit!« sagte Sergej Schuganow. »Sehen Sie bitte!«
Igor, der sicher auch Schuganows Leibwächter war, hatte sich auf einen Stuhl nahe der Tür gesetzt. Schuganow stand an dem ovalen Tisch in der Mitte des großen Raumes. Auf dem Tisch lagen einige Fotos und eine Karte von Moskau und Umgebung.
Die Fotos zeigten Oscar und eine Frau, die ich als Lola wiedererkannte, obwohl sie ihr Haar hatte schwarz färben lassen. Auf manchen Fotos war Oscar allein, auf anderen nur Lola, auf wieder anderen waren beide zusammen zu sehen. An der Körnigkeit sah ich, daß sie mit Teleobjektiv gemacht worden waren, einige mit einem 1000er, andere mit einem 400er Tele. Sie waren auf einem Wochenmarkt aufgenommen worden, auf dem kleine dicke Frauen in unförmigen Mänteln und Kopftüchern Gemüse und eine Art Gurken feilhielten. Eine Reihe von Fotos zeigte die beiden vor einem großen roten Haus in einem tiefverschneiten Birkenwald. Auf der Mauer, die sich um das ganze Haus zu ziehen schien, waren Gegenstände zu sehen, die Überwachungskameras ähnelten, und auf einem der Bilder erkannte ich den großen Iren mit dem Totschläger aus unserem Haus bei San Sebastian. Auf einem anderen schienen Oscar und Lola in einen heftigen Streit verwickelt, der Ire guckte zu und hatte den Mantel etwas zur Seite gezogen, so daß man ein Schulterholster erahnen konnte. Lola war ganz die alte, wie auf den Fernsehbildern in Kopenhagen, aber Oscar sah mitgenommen und wütend aus.
Schuganow ließ mich die Fotos in aller Ruhe ansehen. Ich war mir über meine Gefühle nicht im klaren. Ich hatte ihn beauftragt, Oscar zu finden, und das hatte er getan. Was sollte ich jetzt tun?
Lolas Anwesenheit überraschte mich nicht und tat nichts zur Sache, aber was sollte mein nächster Schachzug sein? Ich war eben in Moskau angekommen, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, das hier sei noch ein Flughafentreffen mit Schuganow. Oscar war nach Moskau gegangen, weil Lola hier war, und hier fühlte er sich sicher, bis alles vorüber war. In diesem Land konnte man Einfluß und Sicherheit kaufen.
»Sind Sie bereit zu hören, was wir wissen?« fragte Schuganow in seinem eigentümlichen Oberklassenenglisch.
»Ja«, sagte ich nur.
»Gut, Mr. Lime. Das Objekt wohnt in einer neugebauten Villa außerhalb Moskaus. Einem alten Datschenviertel. Früher war eine Datscha ein Sommerhaus,
Weitere Kostenlose Bücher