Der Augenblick der Wahrheit
wollte er sagen, nun sei der Ball wieder in meinem Feld, und entweder wir schlössen das Geschäft jetzt ab oder ich käme mit einem Vorschlag.
Ich dachte kurz nach und sagte: »Okay. Lassen Sie uns morgen hinfahren. Wenn ich Sie anheuern könnte, den einen der Gorillas oder beide auf Abstand zu halten, während ich mit meinem ehemaligen Freund spreche und seine Erklärung erhalte, könnte ich sagen, es sei ein Vergnügen gewesen, mit einem Mann wie Ihnen Geschäfte zu machen, Mr. Schuganow.«
»Sollen wir Ihnen Waffen besorgen?« fragte Schuganow.
»Nein. Das wird nicht nötig sein. Keine Schießerei. Lediglich eine freundschaftliche Unterhaltung.«
»Genau davor habe ich Angst«, sagte Schuganow.
»Wir werden es morgen sehen«, sagte ich.
»Für uns geht das in Ordnung. Der Kunde bestimmt. Das ist das Grundgesetz der Marktwirtschaft. Wenn Sie sich bitte morgen früh um acht bereithalten. Und dann müssen wir Ihnen wenigstens etwas zweckmäßigere Kleidung besorgen«, sagte Schuganow.
Er schaute an mir herunter, als würde er eine Frau taxieren.
»Ich glaube, wir haben Ihre Maße. Wie ist Ihre Schuhgröße?«
»44 oder 44 1/2«, sagte ich.
Er reichte mir die Hand, und ich drückte sie.
»Kommen Sie selbst?« fragte ich.
»Ich ziehe nicht soviel ins Feld, aber hier mache ich für Derek und Sie eine Ausnahme, das heißt, ich bin morgen da, mit Igor.
Wir kennen uns aus alten Zeiten.«
»Und wann waren die alten Zeiten?«
»Für mich in den Tagen von Hammer und Sichel. Und später ein paar Jahre im neuen Rußland. Igor war in meiner letzten Mannschaft und diente dem neuen Präsidenten einer neuen Nation, aber wir trainierten die gleichen Aufgaben: Einholen von Nachrichten, Sabotage, Infiltration, Eliminierung von Staatsfeinden. Er ist einer der besten, die ich hatte, aber der Staat konnte uns nicht mehr den Lohn geben, den wir brauchten, weshalb ich mich selbständig gemacht habe.«
»Ist doch schön, daß das neue Rußland Ihre Fähigkeiten benötigt«, sagte ich. Es war eigentlich ironisch gemeint, aber die Ironie prallte an dem gedrungenen Russen ab.
»Vorläufig werde ich kaum arbeitslos«, sagte er, nickte dem schweigsamen Mann an der Tür zu, und sie verschwanden und ließen mich in dem Zimmer zurück, von dem ich über die schneebedeckten Dächer und Hunderte kleiner Rauchfahnen aus den Schornsteinen blicken konnte, im Innern eine Leere, die ich nicht verstand. Ich hätte zumindest entweder ängstlich oder gespannt sein müssen, aber ich empfand überhaupt nichts. Ich war müde, aber wenn ich mir die Bilder von Oscar und Lola auf dem Tisch ansah, merkte ich, wie der Zorn wieder in mir hochkroch. Mir war es völlig Wurscht, daß Oscar in all den Jahren ein Doppelleben geführt und einem diktatorischen Staat gedient hatte. Das war vorbei und keine Sache zwischen ihm und mir. Es war nicht meine Angelegenheit, zu vergeben oder nicht zu vergeben, daß er terroristische Attentate vorbereitet oder zumindest für die nötige Logistik gesorgt hatte. Das ging nur ihn und die Länder etwas an, die darunter hatten leiden müssen.
Aber mir war nicht egal, daß er Amelia und Maria Luisa hatte ermorden lassen, ob er es nun selber getan oder andere damit beauftragt hatte. Ich wollte wissen, warum die beiden, die mir im Leben am meisten bedeutet hatten, unschuldige Opfer seines Egoismus und seiner Machtgier werden mußten. Seiner verzweifelten Versuche, die Vergangenheit zu begraben und zu tun, als hätte es sie nie gegeben. Er war bis zum Äußersten gegangen, um sämtliche Spuren zu verwischen, bis ihm Lime’s Bild gezeigt hatte, daß er dazu nicht imstande war. Denn immer gibt es jemanden, der sich erinnert, und immer gibt es ein Bild oder einen Text, den man nicht vernichtet hat.
24
Schuganow klopfte am nächsten Morgen kurz vor acht an die Tür. Ich hatte schlecht geschlafen. Das Zimmer war warm und stickig, und offensichtlich konnte man die Heizung nicht herunterdrehen. Ich war in Versuchung gewesen, in das Kasino oder eine der vielen Hotelbars zu gehen, hatte es mir jedoch verkniffen. Stattdessen trank ich fast eine Flasche Wein und sah CNN in dem neuen Hotelfernseher. Ich nahm den Hörer des amerikanischen AT&T-Telefons, um Gloria und Clara anzurufen, ließ es dann aber doch sein. Ich blickte über die Dächer und Rauchfahnen und sah die winterliche Stadt langsam zur Ruhe kommen, und zum Morgen hin schlief ich endlich ein.
Schuganow war von Kopf bis Fuß ganz in Schwarz, als er ausgeruht ins
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