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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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einen Waffenstillstand sollten im Gegenzug zunächst die in Andalusien oder anderen weit entfernten Orten einsitzenden ETA-Gefangenen ins Baskenland überführt werden. Dann sollte ein Frieden mit möglicher teilweiser Amnestie ausgearbeitet werden. Die neue bürgerliche Regierung aber wollte unter keinen Umständen mit den Terroristen verhandeln. Die Gewalt war wieder aufgeflammt. Die ewige böse Spirale der Gewalt. Aber offenbar gebe es jetzt einen Weg in Nordirland, sagte Tómas, der vielleicht helfen könne, die Lage zu entspannen. Er hegte keine große Hoffnung, aber wenn die Iren das konnten … Warum nicht auch die Basken?
     
    Wir bekamen den Kaffee, bevor ich fragte: »Tómas, waren sie es? War es ein furchtbarer Irrtum?«
    Er fingerte an der Stoffserviette herum, ich rauchte. Wie so viele hatte er schon seit langem mit dem Rauchen aufgehört, jetzt mußte er seine Finger anderweitig beschäftigen.
    »Sie waren es nicht, Peter«, sagte er. »Sie waren es nicht. Sie hätten es zwar sein können, aber sie waren es nicht. Sie wußten nicht, daß die Verräterin in dem Haus wohnte.«
    »Wer dann?«
    »Ich weiß es nicht. Ich verstehe es nicht. Es gibt keinen Sinn.«
    »Warum haben sie dann nicht jede Verantwortung abgelehnt?
    Und gesagt, daß sie es nicht waren?«
    Er sah weg und nippte an seinem Kaffee, obwohl in dem kleinen Täßchen nur noch der Satz übrig war. Dann sagte er leise, aber mit Zorn in der Stimme, einem Zorn, der, so hatte ich das Gefühl, gegen sich selber gerichtet war: »Das Wesen des Terrors ist die Verbreitung von Angst. Sie kriegen ein angstförderndes Element umsonst. Warum sollten sie es nicht annehmen? Sie haben einer Verräterin den Garaus gemacht.
    Jetzt werden andere zögern, denn sie haben ja bewiesen, daß der Arm der Rache lang ist. In der Franco-Ära waren wir auf Militärs aus, den unterdrückenden Polizeiapparat, die höchsten Mitglieder der Verwaltung. Wir waren Soldaten in einem schmutzigen Krieg.
    Aber wir waren Soldaten, nicht Mörder an unschuldigen Zivilisten.«
    Es war das erste Mal, daß er sich von seinen Erben moralisch distanzierte. An dem, was er sagte, war was dran. Die ETA hatte 1968 angefangen, Gewalt anzuwenden – den sogenannten bewaffneten Kampf –, als Tómas erst siebzehn, achtzehn Jahre alt war. Wie Cowboys auf der Flucht über den Rio Grande suchten sie nach ihren Aktionen Zuflucht im benachbarten Frankreich, das sie wie andere europäische Länder als Freiheitskämpfer betrachtete, die für eine gerechte Sache fochten: die faschistische Franco-Diktatur zu stürzen.
    »Ich muß einen Sinn darin sehen. Ich muß es verstehen«, sagte ich.
    »Das seh ich ein. Aber vielleicht steckt der Staat dahinter.
    Vielleicht war es ein Versuch, die Fotos des Ministers zu zerstören. Vielleicht war es ein simpler Racheakt. Das haben sie in dem schmutzigen Krieg ja auch gemacht. Und das war eine sozialistische Regierung! Hast du mal daran gedacht, daß es für die Spanier auch opportun sein könnte zu sagen, es sei die ETA gewesen? Das liegt doch klar auf der Hand, sowie die ETA wieder in Aktion tritt. Vielleicht ist die ETA nur Verschleierungstaktik. Wie sagt man noch in den englischsprechenden Ländern? A red herring. «
    Unter der sozialdemokratischen Regierung hatte der Staat Todespatrouillen ins französische und spanische Baskenland geschickt, um angebliche ETA-Mitglieder zu liquidieren, sie ohne Gerichtsurteil brutal hinzurichten. Gewalt erzeugt Gewalt.
    Diese Fälle wurden nun vor Gerichten verhandelt, die bis auf weiteres vergeblich herauszufinden versuchten, wer auf Regierungsseite im Spanien der achtziger Jahre etwas von der Entsendung staatlicher Todespatrouillen gewußt hatte.
    »Ich möchte es gern von ihnen selber hören«, sagte ich. »Daß sie es nicht waren.«
    Er schwieg.
    »Das ist sehr riskant, Peter. Riskant für mich, für dich, für sie.
    Sie sind auf allen Fronten bedrängt. Sie sind gespalten, ängstlich, nervös, aggressiv.«
    »Ich möchte es gern von ihnen selber hören.«
    Er sagte eine Weile kein Wort. Dann hatte er offenbar einen Entschluß gefaßt und ging. Ich blieb sitzen, bestellte noch einen Kaffee und bezahlte die Rechnung. Zwanzig Minuten später kam er zurück. Ich wußte nicht, ob er telefoniert oder was er sonst gemacht hatte, und es fiel mir im Traum nicht ein, ihn zu fragen.
    Er setzte sich. Er schwitzte, als wäre er in der Nachmittagshitze zu schnell gegangen, aber es konnte auch Nervosität sein. Auch wenn er ein freier und

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