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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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copa genehmigt hatte. Es war nicht der Geschmack, obwohl ich ihn natürlich erkannte, sondern die Wirkung. Es war wie ein wärmender Handschuh, der sich an einem kalten Wintertag um Körper und Seele legte. Es war wie die Heimkehr nach einer langen, gefahrvollen Reise an einen sicheren Ort. Es war so furchteinflößend bekannt und angenehm.
    Der Totschläger holte noch ein Glas. Die anderen lagen mit der zerschmetterten Flasche, die ich zuletzt erwischt hatte, in einem See aus Whiskey auf dem Küchenboden. Meine Kehle und meine Nasenlöcher brannten, meine Wunden taten mir weh.
    Der Kopf drehte sich mir, mir war schwindlig. Als ich noch trank, konnte ich ungeheure Mengen Alkohol vertragen, aber jetzt wirkte er wie bei einem Fünfzehnjährigen, der sein erstes Starkbier trinkt. Er holte eine neue Flasche, goß wieder ein und nickte. Sie ließen meine Arme los, und ich hob unkoordiniert meinen rechten Arm, um es auch auf den Boden zu fegen, aber der Arm zeigte seinen eigenen Willen. Als ob er mir nicht mehr gehörte. Ich stand wie neben mir und sah ihm zu, wie er sich dem Glas näherte. Ich befahl meiner Hand, sie solle hart zuschlagen und es wegfegen, aber sie umschloß das Glas, hob es behutsam, führte es beinahe zärtlich an meinen Mund und kippte einen kleinen Schluck hinein, der sich wie eine milde Haut auf meine Zunge legte und wie eine sanfte, doch resolute Liebkosung durch meine Speiseröhre und in den Magen und ins Blut und weiter in mein Bewußtsein glitt, wie getragen auf einem hübschen stillen Fluß an einem lauen Sommertag. Mir stiegen Tränen in die Augen, aber es war nicht mehr der Whiskey. Es waren Tränen der Selbstverachtung. Ich bot einen jämmerlichen Anblick: Rotz, Blut, Tränen und Whiskey im ganzen Gesicht und auf dem T-Shirt. Ich trank noch einmal, leerte das Glas und setzte es hart auf den Tisch.
    »Arschloch«, sagte ich. »Bepißtes Arschloch!«
    »Prost, Mr. Lime. Ist es nicht nett, mit einem Freund zu trinken?« sagte der große Ire, leerte sein Glas und goß uns beiden mit siegessicherer, verächtlicher Miene nach. Ich hätte ihm das Glas an den Kopf schmeißen sollen, statt dessen sah ich meiner Hand zu, die sich dem Glas näherte, es umschloß und an die Lippen führte, und hinter meinen übel zugerichteten Augen weitete sich das Licht.
    »Warum habt ihr so ein Interesse an dem Koffer?« fragte ich irgendwann. Daran kann ich mich noch erinnern. Ich habe nämlich nur zerstreute, benebelte Erinnerungen an unser Gespräch. Ich sehe nur noch die pickelnarbige Visage und den schmalen Mund und das Glas, aus dem ich trinke, vor mir. In mir war kein Licht mehr, nur eine dunstige Alkoholdämmerung, in der Traum und Wirklichkeit miteinander verschmolzen.
    »Wir fragen. Du antwortest«, sagte er.
    »Da drin sind nichts als Erinnerungen, ihr Drecksäcke. Nichts anderes als meine eigenen lausigen, uninteressanten, verfluchten Erinnerungen aus einem verpfuschten Leben«, sagte ich und fing an, vor Wut und Selbstmitleid auf dänisch zu fluchen.
    Ich weiß nicht mehr, was ich sonst noch sagte. Ich weiß nicht mehr, was ich ihm erzählte. Irgendwann fing ich auch an, auf dänisch zu singen. Ein Lied von Benny Andersen, das nur für die Dänen und sonst für keinen Bedeutung hat. Vögel fliegen im Zug, wenn sie sind viele g’nug. Ich übersetzte es ins Englische und kriegte einen hysterischen Lachanfall, weil sie den Witz daran nicht verstanden. Ich faselte und muß einen heillosen Humbug über meinen Koffer erzählt haben, über Amelia, Maria Luisa und Don Alfonzo, über Oscar und Gloria und den Tag, an dem ich auf einer kleinen griechischen Insel zufällig Jacqueline Kennedy mit einem Badetuch überm Arm und in Begleitung einer gleichaltrigen Frau entdeckte. Jacqueline Kennedy Onassis war in Shorts und dünner Bluse gewesen und hatte noch immer eine klasse Figur. Sie trug eine große Sonnenbrille und einen weißen Hut, und ohne Make-up schien sie keiner zu erkennen.
    Oder war das unberührte Inselidyll nach wie vor ein Ort, wo sich jeder um seine eigenen Sachen kümmerte? Es gab nur wenige Touristen auf der Insel.
    Ich war gekommen, um die Schrecken zu verdauen, die sich mir in der Bürgerkriegshölle von Beirut eingebrannt hatten.
    Meine Nerven waren zerfleddert und zerfranst. Ich hatte einfach keine Lust mehr, unter Einsatz meines Lebens Bilder zu machen, die sowieso keine Zeitung drucken würde, weil die Medien der westlichen Welt das Interesse für den endlosen libanesischen Bürgerkrieg längst

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