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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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großartige Erlebnis«, sagte er und hob sein Glas und leerte es. »Don Alfonzo muß hellsehen können.
    Mich zu bitten, ausgerechnet beim dritten Stier zu erscheinen, war ein Geniestreich. Es ist selten, daß el arte de torear wirklich eine Kunst ist. Auf Wiedersehen, Señor Lime. Es ist mir ein Vergnügen gewesen, mit Ihnen zu sprechen.«
    Als er ging, zog er den Zigarrenrauch wie eine Fahne hinter sich her, ein kleiner, gebeugter Mann mit großen Geheimnissen.
    Die gutgelaunte und zufriedene Menschenmenge flutete aus den Ausgängen und spülte ihn gleichsam mit, so daß er verschwand und sich in Nichts auflöste, als hätte ich nie mit ihm gesprochen.
    Durch die Fensteröffnung sah ich, wie sich die Massen vor dem Haupttor drängten, und kurz darauf wurde der junge Andalusier auf den Schultern herausgetragen. Er sah froh und verschreckt zugleich aus, als bedeuteten die Menschen eine größere Gefahr als die beiden Stiere, die er an diesem Nachmittag ehrenvoll und mutig getötet hatte. Stolz schwenkte er die Ohren und Schwänze der beiden Tiere über dem Kopf und schleuderte sie dann in die Menge seiner Bewunderer. Wie einfach und leicht das Leben für ihn war! Er hatte keine Angst vor dem Tod, er wurde von den anspruchsvollen aficionados von Las Ventas auf Händen getragen, er stand am Anfang des Lebens und zählte darauf, daß Jugend, Schönheit und Glück ewig währten.
    Ich leerte mein Glas, wünschte ihm Glück und schlug vorsichtig die Beilage auf. Ich stand in meiner kleinen Nische, während die Leute achtlos an mir vorüberströmten. Zwischen den mittleren Seiten steckten einige weiße Bogen Papier, die in der Mitte sorgfältig gefaltet waren. Ich brannte darauf, sie zu lesen, legte sie aber zurück, und als sich die Menge langsam zerstreute, verließ ich die Arena, um einen Ort zu finden, an dem ich in Ruhe in ein weiteres merkwürdiges Stück meiner Vergangenheit eintauchen konnte.
     
    14
    Ich fuhr zu unserem sonntäglich stillen Büro am Castellano.
    Während der Saison herrscht hier auch sonntags Hochbetrieb.
    Die unersättliche Gier des Menschen nach Fotos von Prominenten und Millionären kannte keinen freien Tag, im August allerdings fuhren wir die Aktivitäten in Madrid ganz herunter und überließen die Wochenendgeschäfte dem Londoner Büro. Die meisten unserer Mitarbeiter machten Urlaub und waren vor der erstickenden Smoghitze geflüchtet, die die Stadt tagtäglich im Griff hatte. Von der kurzen Taxifahrt von Las Ventas zum Büro war mein T-Shirt durchgeschwitzt, mein Körper haftete an den Kunstledersitzen, als wäre er angeleimt.
    Ich schloß auf und wurde von der trockenen Kühle der schwach summenden Klimaanlage empfangen. Ich zog das T-Shirt aus der Hose, lüftete es wie ein kleines Mädchen beim Tanz und holte eine kalte Cola aus dem Kühlschrank in der Küche. Das Büro war mit Ausnahme des sanften Summens totenstill, und die Rechner waren abgedeckt. Ich ging durch die leeren Räume und machte eine Runde in Oscars Büro. Sein normalerweise unordentlicher Schreibtisch, der von Dutzenden von Vergrößerungen, Erzeugnissen der Regenbogenpresse, Kaffeebechern, langen Computerausdrucken und vollen Aschenbechern überzufließen pflegte, war aufgeräumt und leer.
    Telefon und Computer standen verlassen da, nur das Licht an seinem Anrufbeantworter blinkte. Im Archiv standen die großen Schränke mit Negativen und Vergrößerungen, aber die gefragtesten hatten wir ja in unserem großen Mainframecomputer. Sie waren auf der Festplatte gespeichert, bereit, um digital versandt zu werden, falls eine Zeitungsredaktion oder ein Wochenblatt das besondere Bild eines besonderen Menschen brauchte. Wir handelten meist mit Fotos bekannter Leute, aber wir konnten auch einen Goya aus dem Prado liefern, wenn es sein mußte. Über das Telefonnetz konnten wir ein Bild in wenigen Augenblicken rund um die Welt schicken. Der magische Touch des Informationszeitalters.
    Ich schob die Lektüre noch auf und genoß eine Weile die Stille und Kühle, aber schließlich setzte ich mich in mein Büro. Ich ließ die Tür offen, so daß ich durch die großen Gemeinschaftsbüros der Sekretärinnen und Assistenten bis in Oscars Arbeitszimmer sehen konnte. Ich fühlte mich einerseits wohl, andererseits wie ein Gast, der zum Bereich der fleißigen Menschen eigentlich keinen Schlüssel haben dürfte. Die Räume waren noch immer ein Teil meines Lebens, mir gehörte ein Drittel davon, und trotzdem gehörte ich nicht mehr dazu. Ich legte

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