Der Augenblick der Wahrheit
Zweifel.
Viktor: Ich kann welche besorgen. Ich brauche ein paar Tage.
Sie werden über Paris und die üblichen Kanäle überwiesen.
Hippie: Da ist noch die Studentenbewegung. Die anarchistischen Gruppen sind stark und drängen die Partei in den Hintergrund. Wir brauchen auch dafür die nötigen Mittel.
Viktor: Moskau ist reich, aber wir sind keine Zapfsäule.
Hippie: Jetzt oder nie! Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die PCE legalisiert wird, dann müssen wir stark dastehen. Sonst läuft das Volk zu den Sozialisten über. Wir befinden uns in einer revolutionären Situation.
Viktor: Moskau legt Wert auf den Streik und den 1. Mai. Da muß die Tür des verrotteten Systems eingetreten werden.
Hippie: Ich verkehre im Milieu. Studenten und Arbeiter werden am 1. Mai gemeinsam auf der Straße sein. Verlaßt euch drauf.
Viktor: Gut. Spanien wird gewinnen.
Hippie: Dann sind da noch die Basken …
Viktor: Ja.
Hippie: Meine Kontakte berichten, daß sie zu einer militärischen Offensive mit gleichzeitigen Demonstrationen und Streiks bereit sind.
Viktor: Ja.
Hippie: Chaos.
Viktor: Ja.
Hippie: Die Faschisten werden zusammenrücken. In der ersten Runde wird die Repression gewaltig sein, aber das sind die letzten Zuckungen. Dann ist die Situation ernsthaft revolutionär
…
Viktor: Für Moskau ist die richtige Strategie, so in die Übergangsphase einzutreten, daß die PCE eine legale Partei werden kann.
Hippie: Aha.
Viktor: Es ist geplant, zunächst Carillo einzuschmuggeln und ihn hier illegal als ein Symbol wirken zu lassen und dann, wenn die Zeit reif ist, La Pasionaria in aller Öffentlichkeit einreisen zu lassen.
Hippie: Das erlauben sie nie.
Viktor: Davon sind wir überzeugt. Wir glauben nicht, daß der Terrorismus in der jetzigen Situation eine praktische Strategie sein kann. Moskaus Strategie ist eine Mischung: Einerseits muß die Arbeiterklasse am Arbeitsplatz gewonnen werden, andererseits muß auch die Bevölkerung an sich gewonnen werden, und zwar indem man am parlamentarischen Prozeß teilnimmt, der unserer Meinung nach kommen wird. Wir müssen dabeisein, wenn der Faschismus von der bürgerlichen Demokratie abgelöst wird. Zumindest im ersten Durchgang.
Hippie: Nach meiner Auffassung versteht Berlin den Kampf der Basken in der jetzigen Situation nicht als Terrorismus, sondern als legitimen bewaffneten Kampf.
Viktor: Wir sind wohl nur teilweise mit den Genossen uneinig, aber im Moment sehen wir den legalen Weg als den einzig richtigen. Es wird eine Wahl kommen. In dieser Wahl soll die PCE stark sein. Falls nicht, werden wir die Situation einer Überprüfung unterziehen.
Hippie: Mischa meint, ich sollte mit den Kontakten zur ETA weitermachen.
Viktor: Darin besteht keine Uneinigkeit.
Hippie: Wir bilden sie weiter aus und tun uns mit den tschechoslowakischen Genossen wegen einer neuen Sendung zusammen, aber das erfordert die Aktivierung der Zelle in Pamplona.
Viktor: In Ordnung, aber ich möchte, daß du noch mehr über das Studentenmilieu sammelst, außerdem bin ich an Namen in der Presse interessiert, die wir als solidarisch mit der Arbeiterklasse einstufen können, wenn die Lage sich zuspitzt.
Wir finden, du solltest dich auf diese Aufgabe konzentrieren.
Das ist mit Karlshorst abgestimmt.
Hippie: Ich arbeite daran.
Viktor: Gut.
Ich stand auf, ging in die Gemeinschaftsküche, um mir ein Dosenbier aus dem Kühlschrank zu holen, und dachte über das Gelesene nach. Wenn man den Verlauf der Geschichte kannte, konnte man das Muster gut erkennen. Die illegalen kommunistischen Gewerkschaften Comisiones Obreras hatten im Jahre Null nach Francos Tod zum Generalstreik und zu großen Maidemonstrationen aufgerufen. Im April 1976 wurde Spanien von der größten Streikwelle seit vierzig Jahren erschüttert, und die Streiks halfen mit, die alte faschistische Garde wegzufegen und den Weg für eine reformorientierte Regierung mit Adolfo Suarez an der Spitze frei zu machen.
Der alte Vorsitzende der Kommunisten, Santiago Carillo, war dann später in jenem Jahr, durch eine Perücke unkenntlich gemacht, nach Madrid zurückgekehrt, 1977 wurden Spaniens Kommunisten legalisiert, und die legendäre Führerin aus dem Bürgerkrieg Dolores Ibárruri, genannt La Pasionaria, kehrte im Triumph heim. Es war auch typisch für die Kommunisten, daß sie nicht allein die Faschisten, sondern auch die Sozialdemokraten der PSOE als Hauptfeind betrachteten. Das ging noch auf den Bürgerkrieg in den dreißiger
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