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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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die Bögen vor mich hin, zündete eine Zigarette an und machte mich mit zunehmender Faszination und Verwunderung an die Lektüre, während mich die Worte in eine andere Zeit versetzten.
     
    Überwachungsprotokoll PCE/13/05. 03. 76. 14.45 h.
    Ausgefertigt von [durchgestrichen]. Aus dem Englischen übersetzt von [durchgestrichen].
    Gesprächsteilnehmer: Viktor Ljubimow, ca. 40, Kulturattaché an der sowjetischen Botschaft in Paris, eingereist über die portugiesische Grenze am 23. 02. 76 mit kubanischem Paß, untergebracht im Hotel Victoria (s. anbei Kopie der Hotelunterlagen). Unbekannter Mann Mitte 20, groß, langer Bart, Hippietyp. Gespräch wurde auf englisch geführt.
    Vereinzelt Interferenzgeräusch, ansonsten ausgezeichnet funktionierende Ausrüstung. Allerdings fehlen die ersten vier Minuten. Nach Meinung der Überwachungsgruppe PCE/13 fand dieser Teil des Gesprächs außerhalb der Reichweite des Mikros 3 im Flur statt. Das Abhören wurde auch durch den Fernseher im Wohnzimmer begrenzt, der Spielfilme ausstrahlte. Nach Reinigung der Bänder gelang es, den Hauptteil des Gesprächs zu dechiffrieren. Nach teilweiser Anhörung der Bänder teilt der Sprachexperte A/24 ohne Kenntnis der Objekte mit, daß deren Englisch gut und grammatikalisch korrekt ist, aber nicht ihre Muttersprache. Der Hippie spricht mit einem Akzent, der trotz Versuchs eines gewissen amerikanisch en Jargons als deutsch definiert wird. Ljubimows Englisch ist fließend und britisch in seiner Aussprache.
     
    Viktor trifft an der Deckadresse Calle Princessa 12 um 15.45 h ein. Wie beschlossen in Direktive 11 mit Genehmigung des geheimen Gerichts, Abt. 6, war nach Absprache mit dem Eigentümer der Nachbarwohnung, einem guten Patrioten mit langjähriger Mitgliedschaft in der Bewegung, ein Abhörgerät installiert worden.
    Die Deckadresse gehört [Name durchgestrichen], dessen Verbindung zur illegalen kommunistischen Gewerkschafts-bewegung Comisiones Obreras nachgewiesen ist. Aufgrund intensiver Ermittlung wird weiterhin empfohlen, Festnahme und Verhör von [Name durchgestrichen] zu unterlassen.
    Um 15.58 h traf der Gesprächspartner in der Calle Princessa 12 ein. Da seine Identität vorläufig unbekannt ist, wird das Objekt im Protokoll wegen des langen Haars › Hippie ‹ genannt.
    Es gelang der Überwachungsgruppe C/3 nicht, ein Foto von Hippie zu machen, der die Adresse offenbar über einen anderen Ausgang verließ. Überwachungsgruppe C/3 wird versuchen, durch weitere Nachforschung Identität und offiziellen Auftrag in Spanien festzustellen. Wirkte wie ein Tourist, aber durchtrainiert und gepflegt trotz des langen Haars.
    Aber es war offensichtlich nicht gelungen, Hippies Identität herauszufinden. Groß und langhaarig. Die Beschreibung paßte auf Tausende junger Abendländer, die in den Siebzigern in Madrid herumwimmelten und das Leben genossen, als Dollars oder D-Mark viele Peseten wert waren. Ich blickte über die Dächer von Madrid und dachte daran, wie viele Bürokraten auf der ganzen Welt in den glücklichen Tagen des Kalten Kriegs ein Protokoll nach dem anderen fabriziert hatten, wie ich es hier las.
    Konnte man derlei Berichten überhaupt trauen? War es nicht seit eh und je so, daß Geheimdienstprotokolle normalerweise völlig unglaubwürdig waren, weil es im eigenen Interesse der Agenten lag, jede kleine Alltagsbanalität zu einer suspekten Angelegenheit zu machen, zu einem bedrohlichen Stein eines größeren Mosaiks? Denn nur so sicherten die Geheimdienste die Zunahme ihres Budgets und Mitarbeiterstabs. Es ist teuer, einen Polizeistaat aufrechtzuerhalten.
    Aber das Gespräch hatte anscheinend stattgefunden. Oder nicht? Das wußte in Wirklichkeit keiner. Ich steckte mir noch eine Zigarette an und las weiter. Zumindest blieb ich nun vor der bürokratisch gespreizten Sprache verschont, die die Einleitung geprägt hatte. Das Gespräch war wie ein Drehbuch mit Repliken geschrieben. Es fehlten nur die Regieanweisungen.
     
    Viktor: … hast du den Eindruck, daß die Comisiones Obreras die Arbeiter am 1. Mai auf die Straße bekommt?
    Hippie: Die Genossen machen ein großes Stück Arbeit und scheinen der Strategie zu folgen, die auch das 2K in Moskau verfolgt. Es gilt zu mobilisieren und die PSOE in die Defensive zu drängen.
    Viktor: Was ist mit den Streiks nächsten Monat?
    Hippie: Alles deutet darauf hin, daß sie landesweit sein werden. Nah an einem Generalstreik.
    Viktor: Haben sie die nötigen Mittel dazu?
    Hippie: Es fehlen Mittel. Ohne

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