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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Schwiegervater. Er redete am liebsten in Rätseln. Ich wußte ja, daß er Nachrichtenoffizier unter General Franco gewesen sein mußte, der mehr Geheimdienste als Orden gehabt hatte. Aber er war gesprächiger, als mein Schwiegervater zu sein pflegte. Sein Akzent war unbestimmbar, aber er klang, als käme er irgendwo aus dem Süden.
    »Sie dürfen mich nicht mißverstehen«, sagte er und lehnte sich zu mir herüber, so daß ich seine aromatische Zigarre roch. »Ich bin ein Anhänger der Demokratie. Unsere ganze Arbeit hatte eigentlich nur das Ziel, gegen Kommunismus und Anarchismus zu kämpfen, um Spanien für die Demokratie reif zu machen.
    Und das ist gelungen. Wir hatten viele Feinde. Bolschewiken, Terroristen, Separatisten. Ausländische Agenten versuchten, unsere Staatsmacht und Gesellschaftsordnung zu unterminieren.
    In den siebziger Jahren, als die Kräfte des Caudillos zu schwinden begannen, war der Druck groß. Unsere Feinde sahen eine Bresche in unserer Verteidigungsmauer und schickten Agenten ins Land, um die Kräfte, die Chaos statt Ordnung wünschten, anzustacheln und zu stützen. Mein Beitrag war, derlei subversive Kräfte zu überwachen und zu stoppen. Mein Spezialgebiet war der sowjetische Geheimdienst KGB.«
    »Zusammen mit Don Alfonzo?«
    »Don Alfonzo hatte seine Aufgaben. Ich hatte meine.«
    »Als da waren?«
    »Den Staat und die staatlichen Institutionen zu schützen. Dafür zu sorgen, daß brave Bürger nachts unbesorgt schlafen konnten.«
    »Ich dachte, das war auch die Aufgabe meines Schwiegervaters.«
    Ich sagte ›Schwiegervater‹, um ihn daran zu erinnern, daß ich nicht irgendein zufälliger Gewährsmann war.
     
    »Ihr Schwiegervater hat sich auf die inneren Feinde konzentriert. Meine Pflicht war es, die ausländischen Agenten zu stoppen, die das Vaterland infiltrierten.«
    »Die Russen?«
    »Unter anderem. Die Sowjets liebten es, Kubaner einzusetzen.
    Sie paßten besser, wie soll ich sagen, zum Milieu.«
    »Okay«, sagte ich und leerte mein Glas. Ich hätte noch eins bestellt, aber der Ersatzstier war in die Arena geschickt und der Verkauf eingestellt worden, während das Ritual seinen festen, vorhersehbaren Gang ging. Ich hatte verstanden, daß Don Alfonzo im internen Sicherheitsapparat gearbeitet hatte, während Don Felipe in der Gegenspionage eingesetzt war.
    »Sie haben zu den Menschen gehört, die in bestimmten Berichten aufgetaucht sind«, sagte er dann.
    »Berichten?«
    »Normale Geheimdiensttätigkeit. Abhören, Überwachen, heimliche Durchsuchung des Wohnsitzes, Protokolle von Informanten. Sie kennen das ja.«
    Da ging ein Rauschen durch die Arena, und ich schaute hinunter, als das Orchester mit dem Paso doble anfing. Es war einer der Augenblicke großer Schönheit, in denen der Stierkampf zur Kunst wird und Tier und Mann in tödlicher Umarmung verschmelzen, in denen die Tracht des Lichts und das blutverschmierte Fell des dunklen Tieres eins werden. Es war der junge Andalusier, der noch nicht alt genug war, um zu verstehen, daß er sterblich war. In immer engeren Kreisen zog er den Stier mit dem roten Umhang an sich, und das Blut färbte seine eng anliegenden Kleider. Der Stier ging geradewegs und angriffslustig auf ihn los, wenn er ihn mit Rufen und kleinen Bewegungen des Handgelenks lockte. Man sah ihm an, daß er den Augenblick so lange wie möglich hinausziehen, sein makabres, edles Ballett unendlich fortsetzen wollte, während ihn die Musik und die taktfesten Olé-Rufe der Zuschauer wie ein Narkotikum vorantrieben. Aber schließlich siegte die Vernunft.
    Bei jedem Pas lernte der Stier ein kleines bißchen dazu, und bald würde er verstehen, daß hinter dem roten Tuch ein Mensch steckte, und man merkte schon, daß er nicht mehr nur die muleta im Blick hatte, sondern auch einen weichen Körper dahinter ahnte. Der junge Mann beendete unter dem großen Jubel des Publikums eine Serie von drei Pas und holte dann seinen Degen.
    »Möge der Tod schön werden«, sagte Don Felipe ehrerbietig.
    Er war offenbar ein Kenner, ein alter aficionado.
    Der junge Stierkämpfer ging in die Arena, verbeugte sich und schenkte den Stier dem ekstatischen Publikum. Er stellte sich in Positur und zog in ein paar knappen, sublimen Pas, die, wie ich mich plötzlich erinnerte, nach einem legendären Matador der zwanziger Jahre manoletes hießen, das Tier an sich vorbei. Dann erhob er sich auf die Zehenspitzen und zielte längs der Klinge, während er die Augen des Stiers mit dem roten Tuch verdeckte, so

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