Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
schreckliches Gefühl in den Schmerz, als wechsele sie den Körper und erlebte noch einmal die letzten Sekunden vor dem Unfall, nur diesmal aus der Sicht des Betrunkenen.
    Das war nicht die einzige verstörende Erfahrung in ihrer Jugend, die sie sich nicht erklären konnte. Fast war es so, als werde ihr fehlender Sehsinn von einer neuen, bislang unentdeckten Fähigkeit kompensiert, die es ihr ermöglichte, in Ausnahmesituationen mit den Augen eines anderen zu »sehen«. Da Alina sich als Blinde schon genug stigmatisiert fühlte, hatte sie lange über ihre »Gabe« geschwiegen. Sie redete nicht über das unbegreifliche
ES
,
das sie stets aus heiterem Himmel, scheinbar ohne erkennbares Muster heimsuchte. Es sollte Jahre dauern, bis ihr Gewissen sie zwang, dieses Schweigen zu brechen, um Alexander Zorbach von den schrecklichen Bildern zu erzählen, die sich während einer Shiatsu-Behandlung in ihren Kopf eingenistet hatten. Es waren die Bilder einer ermordeten Mutter und eines verschleppten Jungen. Damals, vor zwei Monaten, war sie sich sicher gewesen, den Augensammler behandelt und in ihrer Vision dessen letzte Entführung »gesehen« zu haben. Tatsächlich führten Alinas Hinweise erst Zorbach und später die Ermittler zu dem Versteck der entführten Zwillinge. Und das, obwohl sich Alina in Bezug auf ihre Fähigkeiten in einem ganz wesentlichen Punkt geirrt hatte.
    Ich kann nicht in deine Vergangenheit sehen, Suker. Wenn überhaupt, dann blicke ich in deine mörderische Zukunft.
    »Die Zeitungen schreiben, Sie sind ein Medium«, sagte der Augenarzt.
    »Woher wissen Sie das? Ich dachte, gegen Sie ist eine Kontaktsperre verhängt.«
    »Nicht zu meinem Anwalt.«
    Alina seufzte wie jemand, der sich über seine eigene Naivität ärgert. »Sie sollten nicht alles glauben, was in der Presse steht.«
    Er lachte laut auf. »Und das aus Ihrem Mund?«
    Ihr Körper spannte sich an. Der herbe Geruch der Kernseife, mit der Suker sich heute Morgen das Gesicht gewaschen haben musste, war intensiver geworden. Er schien von der Pritsche aufgestanden zu sein und sich ihr genähert zu haben, obwohl sie keine seiner Bewegungen gehört hatte.
    »Eine sehr interessante Einstellung für jemanden, der seinerseits die schamlosen Veröffentlichungen über meine Person nicht im Geringsten in Frage stellt.«
    »Wer sagt das?«
    »Ihr Körper. Er signalisiert mir mit jeder Faser die Antipathie, die Sie gegen mich hegen. Und da ich Ihnen zur Begrüßung weder ins Gesicht gespuckt noch sonst etwas getan habe, was Sie provoziert haben könnte, dürfte diese Antipathie vermutlich durch die Verleumdung in den Medien hervorgerufen worden sein.«
    »Sie sind also unschuldig?«, fragte Alina, bemüht tonlos.
    »Unschuldig? Wer ist das schon?«
    Sie drehte sich in die Richtung, aus der seine Stimme kam. Eben noch hatte er vor ihr gestanden, jetzt musste er rechts neben ihr sein, direkt an der Wand.
    Oder an der Tür?
    Alinas innere Unruhe wuchs, und sie musste sich eingestehen, in dem kleinen Raum die Orientierung verloren zu haben.
    »Fünf Frauen«, sagte sie, um Zeit zu gewinnen, in der sie sich sammeln konnte. »Alle verschwanden zu Zeiten, als Ihre Praxis wegen Betriebsferien geschlossen war. Allen wurden die Augenlider abgeschnitten.«
    »Wir leben in einer schrecklichen Welt, nicht wahr?«
    Jetzt war Suker hinter ihr.
    »Stimmt. Wir leben in einer Welt, in der Psychopathen wieder freigelassen werden müssen, weil sie Kronzeugen aus dem Weg räumen.«
    Er kicherte. »Sie glauben, ich habe Tamara Schlier bedroht, damit sie nicht gegen mich aussagt?«
    Alina zuckte mit den Achseln. »Jedenfalls ist sie auf einmal wie vom Erdboden verschluckt.«
    »Und wie soll mir das gelungen sein? Ich sitze seit Wochen in Untersuchungshaft. Aber davon mal abgesehen, gesetzt den Fall, ich wäre wirklich schuldig …« Suker atmete tief ein. »Gesetzt den Fall, ich hätte Tamara damals verschleppt und ihr bei vollem Bewusstsein zuerst die oberen und dann die unteren Lider entfernt …«
    Alina blieb stumm und fragte sich, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen war, das vereinbarte Codewort zu sagen. Bei dem Stichwort »Kühlschrank« würde Stoya unverzüglich die Sitzung abbrechen und seine Männer hereinschicken.
    »Nehmen wir weiter an, rein hypothetisch natürlich, ich hätte die unglückselige Dame als Nächstes in ein verspiegeltes Zimmer gebracht, um sie dort anal zu penetrieren, wieso nur sollte ich die Schnitte, mit denen ich zuvor ihre Lider entfernt hatte, so

Weitere Kostenlose Bücher