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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Also hatte sie ihn wie beabsichtigt zwischen den Beinen getroffen.
    Sehr schön.
    »Scheiße, Mann, dir werd ich noch mal helfen!« Sie spürte seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht.
    Offenbar hatte er seine Stimme wiedergefunden.
    Was ein Schlag in die Eier nicht alles bewirken kann.
    »Blinde Fotze«, keuchte er heiser, jetzt schon einen Meter entfernt. Alina warf ihm eine Kusshand hinterher und lächelte weiter in die Richtung, aus der sie ihn zuletzt gehört hatte. Neben ihr begann es zu hupen, anscheinend war die Grünphase vorbei, also beeilte sie sich, von der Kreuzung zu gelangen.
    Sie kam nicht weit. Plötzlich wurde sie angerempelt, und sie befürchtete schon, der Mann wäre zurückgekehrt, um handgreiflich zu werden, da spürte sie einen warmen Lufthauch am Ohrläppchen. Als Nächstes hörte sie eine Stimme. Sie wusste, sie kannte sie von irgendwoher, konnte sie in diesem Moment aber ebenso wenig entschlüsseln, wie sie verstand, was der Mann ihr sagen wollte.
    »Dreizehn. Zehn. Einundsiebzig«, flüsterte er.
    So schnell er gekommen war, so schnell war er wieder verschwunden, und hätte Alina nicht das feuchte Brennen am Ohrläppchen gespürt, dort, wo der Fremde sie mit der Zunge berührt hatte, hätte sie das merkwürdige Erlebnis als pure Einbildung abgetan.
    So aber blieb sie tief verstört mit einem unheimlichen Gefühl im Magen auf der belebten Kreuzung stehen, und das Rauschen in ihren Ohren war lauter als der Lärm der hupenden Autos, die an ihr vorbeidrängten.

8. Kapitel
    M an sagt, Augen seien das Fenster zur Seele. Auch wenn es in noch so vielen einfältigen Liebesromanen zu lesen war, hielt Alina dieses Klischee für ebenso kitschig wie falsch. Oder sollten Blinde etwa keine erkennbare Seele besitzen, nur weil ihre Augen stumpf und undurchsichtig waren?
    Das wahre Fenster zur Seele, dessen war Alina sicher, öffnete sich beim Weinen. Ihrer Einschätzung nach gab es ebenso viele Varianten des Weinens, wie Menschen auf der Erde weilen. Das Konglomerat aus Wimmern, Schluchzen, Keuchen, Brüllen, Schlucken, Seufzen, Röcheln und Abermillionen anderer Geräusche, die ein verzweifelter Körper beim Atmen hervorpressen kann, sind bei jedem so einzigartig wie ein Fingerabdruck.
    Auch die Frau in ihrem Wohnzimmer weinte auf eine Art, wie Alina es niemals zuvor gehört hatte. Still, kaum hörbar, wie die unwillkürlichen Geräusche eines schlafenden Babys, nur unendlich viel trauriger. In ihrer Sanftheit waren die stillen Schluchzer für Alina schwerer zu ertragen, als wenn der ungebetene Gast ein Klagegeheul angestimmt hätte. Aber John hatte sie ja gewarnt.
    »
Fuck,
wieso bist du nach Hause gekommen? Ich hatte dir doch eine SMS geschrieben, dass du mich vorher anrufen sollst. Eine halbe Stunde noch, und ich wär die Irre wieder losgeworden.«
    Kaum hatte sie die Haustür aufgeschlossen, hatte ihr bester Freund sie schon mit Vorwürfen überhäuft. Typisch John, immer die Flucht nach vorn, wenn er einen Fehler gemacht hatte.
    »Ich dachte, sie ist eine Patientin, die sich an der Tür geirrt hat, also hab ich sie reingelassen, so ein
Shit

    Alina lebte in einer Maisonette-Wohnung unter dem Dachgeschoss in der Brunnenstraße, wobei die untere Etage ihren Praxisräumen vorbehalten war. John war bei ihr zu Hause geblieben, um auf TomTom aufzupassen, der in letzter Zeit etwas kränkelte. Außerdem waren Hunde in der JVA verboten, und so hatte Alina ihr lebendes Navigationssystem in ihrer Wohnung gelassen und sich auf den Stock verlassen.
    »Konnte ja nicht ahnen, dass die nicht ganz rundläuft,
Baby.
«
    Fuck, Shit, Baby …
John konnte perfekt Deutsch, benutzte aber gerne englische Ausdrücke, besonders, wenn er aufgeregt war. Er war nun mal Amerikaner, und dank seines authentischen Akzents war es nicht ganz so peinlich wie bei vielen Deutschen, die einfach nur cool wirken wollten und dabei alles falsch aussprachen.
    »Was will die Frau denn von mir?«, hatte sie ihn gefragt und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Narbe gegeben. Die bleistiftlange Einkerbung schlängelte sich wie ein Flusslauf von Johns Stirn abfallend nur wenige Millimeter am linken Auge vorbei bis zum Unterkieferknochen; ein Andenken, das ihm eine Gruppe Schwulenhasser mit einem Messer verpasst hatte, nachdem sie ihn zuvor auf einer Discotoilette halb totgeschlagen hatten.
    »Keine Ahnung.
She’s crying,
und das, seit ich die Tür aufgemacht habe.«
    »Endlich mal eine, die deinem Charme nicht erlegen ist.«
    John sah aus wie der

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