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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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kommunizieren könnte. Sie, Alina, sind erst seit wenigen Wochen berühmt. Für ihn sind Sie nur eine blinde Physiotherapeutin. Ich denke, wir können das Risiko eingehen.«
    »Dachten Sie wirklich, ich weiß nicht, wer Sie sind?«, lachte Suker. Sie hörte, wie er langsam von der Pritsche stieg.
    »Ihr voller Name lautet Alina Gregoriev, sechsundzwanzig Jahre alt, seit dem dritten Lebensjahr blind«, leierte der Chirurg die Informationen herunter, als hätte er sie auswendig gelernt. »Tochter eines Bauunternehmers und einer Hausfrau, in Kalifornien aufgewachsen, schon früh verhaltensauffällig. Als die Behörden Sie auf eine Behindertenschule schicken wollten, klagten Sie sich in eine öffentliche Highschool ein. Als Ihr Gesuch, Schülerlotsin werden zu wollen, abgelehnt wurde, gingen Sie erneut zum Verwaltungsgericht. Wieder mit Erfolg.«
    Hörst du das, Stoya? So viel also zu deiner These, Suker bekäme im Knast keine Informationen. Super. Ganz großes Kino.
    Alina hob beide Hände, als würde sie sich ergeben, schaffte es aber nicht, den Redeschwall des Arztes zu unterbrechen.
    »Im Alter von siebzehn von Polizisten aufgegriffen, als Sie Ihre betrunkenen Freunde mit dem Auto nach Hause fuhren. Zwei Jahre später belegten Sie den dritten Platz bei einem Windsurfwettbewerb, als einzige Blinde unter zweihundert Sehenden. Nach Abschluss Ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin reisten Sie ein Jahr um die Welt, erlernten in China die Techniken des Shiatsu und blieben nach Umwegen über Südafrika, Indien, Neuseeland und Südamerika schließlich in Berlin hängen, wo Sie in der Brunnenstraße in Mitte Ihre Praxis eröffneten.«
    »Bravo!« Alina klatschte betont langsam in die Hände. »Haben Sie Ihren Schulhefter dabei, oder wo kann ich Ihnen ein Sternchen reinkleben, weil Sie Ihre Hausaufgaben so gut gemacht haben?«
    »Dann stimmt es also, was über Sie geschrieben wird?« Sukers Stimme hatte ihren altväterlichen Charakter verloren.
    »Man sagt, Sie seien ein Medium und könnten in die Vergangenheit sehen, ist das wahr? Haben Sie wirklich den Augensammler in Ihrer Praxis behandelt und während der Massage gesehen, was dieser Verbrecher den armen Kindern angetan hat? Es heißt, nur durch Ihre Hinweise sei es dem bedauernswerten Alexander Zorbach gelungen, die Zwillinge aus den Fängen Frank Lahmanns zu befreien.«
    Er lachte das Lachen eines Menschen, der keine Freude kennt. Alina hätte ihn am liebsten geohrfeigt, als er mit seiner nächsten Frage den Nagel auf den Kopf traf: »Und jetzt sollen Sie dieses Wunder an mir wiederholen und einen Beweis finden, der meine Freilassung verhindert, richtig? Sie sollen mich berühren und dabei in meine Vergangenheit sehen.« Sie hörte ihn vergnügt kichern. »Das ist es doch, was man von Ihnen erwartet. Dass Sie mich behandeln, um die Beamten danach zu dem von mir versteckten Skalpell zu führen, mit dem ich den Frauen ohne Betäubung die Augenlider abgeschnitten habe …«

6. Kapitel
    W ährend Sukers Frage im Raum zu hängen schien, musste Alina an das allererste Gespräch vor einer Woche denken, als Stoya sie zu diesem wahnwitzigen Unterfangen überredet hatte.
    »Ich habe hier ein psychologisches Gutachten, das Zarin Suker schwerste soziopathische Störungen bescheinigt und eine sofortige Unterbringung in psychiatrische Sicherheitsverwahrung empfiehlt, sobald er verurteilt ist«, hatte der Kommissar seinen Monolog begonnen. »Und dieses Gutachten wurde nicht etwa von der Staatsanwaltschaft, sondern von der Verteidigung in Auftrag gegeben. Mir wurde es zugespielt, weil sogar Sukers Anwalt verhindern will, dass wir diese Bestie wieder auf freien Fuß setzen. Am liebsten würde ich Ihnen Fotos seiner Opfer zeigen, aber das geht ja nun mal schlecht. Doch ich denke, hier bekommen Sie auch einen ganz guten Eindruck.«
    Alina hatte erst ein Klicken, dann ein Rauschen gehört, so wie sie es von den Kompaktkassetten kannte, die ihr Vater früher im Auto abgespielt hatte. Dann wurde das Rauschen von einem Geräusch zerrissen, das sie erschauern ließ. Am ehesten noch erinnerten die Laute, die aus Stoyas Kassettenrekorder drangen, an einen Schrei. Am wenigsten an eine lebende Kreatur.
    Das röchelnde Quieken begann hoch oben in den dünnen Sphären eines Frequenzbereichs kaum oberhalb der Wahrnehmungsschwelle. Nachdem es dort eine Weile verharrt war, stolperte es die Stufen einer kaputten Tonleiter nach unten, wobei das animalische Brüllen mit jedem Absatz tiefer und voller

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