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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Dunkelheit trete.
    Sieben Minuten nach Ablauf des Ultimatums.

3. Kapitel
    S cheiße«, sagt der Mann hinter mir, der die Taschenlampe hält. Für einen kurzen Moment spüre ich das Verlangen, mich umzudrehen und ihm mit voller Wucht die Faust ins Gesicht zu rammen. Ich will meine Verzweiflung nicht länger in mich hineinfressen, und Stoya scheint mir trotz der Schusswaffe in seiner rechten Hand ein geeigneter Blitzableiter zu sein. Wenigstens für einen Augenblick, nicht länger als ein Wimpernschlag, dann streift der Lichtkegel der Taschenlampe in seiner Linken eine kleine Box auf dem Metallfußboden. Alle meine Bewegungen frieren ein.
    »Rückzug«, höre ich den Kommissar in sein Funkgerät sprechen. »Und schickt ein Räumkommando. Hier liegt was.«
    Ja, hier liegt was. Und es ist nicht mein Sohn.
    Ich knie mich auf den Boden und stütze mich mit den Händen auf einem Lattenrost ab, während ich hinter mir die Stiefel des Spezialeinsatzkommandos über die Stahltreppe nach oben poltern höre.
    Den Tipp, hier auf diesem ausrangierten Gastanker nach Julian zu suchen, haben wir von einem Wachmann der Hamburger Werft bekommen. Der Frühpensionär sollte verhindern, dass der stillgelegte Kahn auf dem Trockendock von Altmetallsammlern geplündert wird. Auf seinem Rundgang durch die Frachträume meinte er, ein Kind weinen gehört zu haben, und meldete das seinen Vorgesetzten.
    Ich sauge die Luft ein.
    Hier, tief im Bauch des alten Schiffes, riecht es nach Öl, Schmiermittel und Schweiß. Nach Staub, Pisse und Angst. Das Schlimmste aber ist: Es riecht nach Julian.
    Nach seiner warmen Haut und nach den nassen Haaren, die ihm immer an der Stirn kleben, wenn er atemlos im Hausflur steht, weil er mal wieder die Zeit vergessen hat und den ganzen Weg vom Fußballplatz nach Hause gerannt ist, um nicht zu spät zum Abendessen zu kommen. Diesen süßlich kernigen Eigengeruch eines Zehnjährigen, den man an seinem eigenen Nachwuchs so liebt, bei fremden Kindern aber schnell unerträglich findet, wenn man ihm in geballter Form ausgesetzt ist, etwa nach dem Sport in der Umkleidekabine einer fünften Klasse.
    »Hören Sie schlecht?«, fragt Stoya neben mir. Er wirkt gespenstisch in dem fahlen Licht, das von den Metallwänden reflektiert wird. Man sieht ihm den Schlafentzug an, sein eingefallenes Gesicht scheint nur noch aus Sorgenfalten und Tränensäcken zu bestehen und ist meinem damit vermutlich sehr ähnlich.
    »Hier unten ist nichts außer diesem Kasten da. Vielleicht eine Bombe. Die kann uns gleich um die Ohren fliegen.«
    Ich atme tief ein, ventiliere die Luft durch die Nase und spüre es: Zwischen den Ausdünstungen der Angst und des Schmerzes, die es hier in diesem dunklen Versteck ebenso gibt wie die chemischen Gerüche nach Lack, Reinigungsmitteln und altem Diesel, hängt eine schwache, aber dennoch unverkennbare Essenz von Julian in der Luft. Ich weiß, mein Sohn war hier. Hat hier, in dem Frachtraum des Schiffes, die letzten fünfundvierzig Stunden auf seinen Vater gewartet, in den Fängen eines Monsters, das bereits seine Mutter getötet hat. Er hat die linke hintere Ecke, dort, wo ein zerfasertes Ankertau liegt, als Stelle für seine Notdurft gewählt. Hat sich vermutlich die Fingernägel in der Dunkelheit an den Metallwänden stumpfgekratzt, um einen Ausweg aus diesem Verlies zu finden.
    »Okay, okay. Ich geh ja schon«, sage ich und hebe die Hände. »Bin ja nicht lebensmüde«, lüge ich weiter.
    Stoya nickt zufrieden und macht einen schwerwiegenden Fehler. Er legt etwas linkisch den Arm um meine Schulter, um mir sein Mitgefühl zu zeigen. Auf der Fahrt nach Hamburg hat er mir von seiner eigenen Verwandtschaft erzählt. Von seiner anderthalbjährigen Nichte, die immer
Bau
statt
Baum
sagt, obwohl ihr das M bei
Mami
eigentlich ganz flüssig über die Lippen geht.
    Stoya will mir damit zu verstehen geben, selbst ein Familienmensch zu sein und nicht nur der Chef der Mordkommission. Dass er es nachvollziehen kann, wie ich mich fühle. Vielleicht kann er das sogar tatsächlich, wer weiß? Doch er irrt sich, wenn er denkt, die Angst vor einer Bombe könnte mich auch nur einen Millimeter weit zurückdrängen. Ich bin angekommen. Hier, an dem letzten Ort, den mein Sohn gesehen hat. Und ich bin, in jedem Sinne des Wortes, am Ziel meiner Alpträume. Es gibt nichts mehr auf der Welt, wohin ich gehen kann. Ich befinde mich in einem ähnlichen Zustand wie Lara Weitzmann. Mein Narkosemittel ist der Schock, der nicht stark genug

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