Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
grunzte, als ich den Sessel so zur Seite drehte, dass er mit dem Gesicht in Alinas Richtung zeigte. »Sie haben jemanden geknebelt? Sind Sie jetzt völlig durchgeknallt?«, fragte Alina hinter mir. Nein. Dr. Roth sagt, ich sei völlig normal. »Nur, damit Traunstein nicht die Nachbarschaft zusammenschreit, während ich Sie hole.«
    Ich kniete mich direkt vor ihn hin und war immer noch einen Kopf größer als er. Schweiß lief ihm in Strömen die Stirn hinab, und sein Blick war wesentlich klarer als noch vor wenigen Minuten.
    »Traunstein?«, hörte ich Alina hinter mir fragen. »Großer Gott. Sie foltern den Vater der entführten Kinder? Bringen Sie mich sofort hier raus, damit will ich nichts zu tun haben.«
    »Wer redet denn von Folter?« Ich sprach jetzt direkt zu Traunstein. »Hören Sie zu. Wir machen einen Deal. Ich nehme Ihnen den Knebel wieder raus, aber dafür bleiben Sie ruhig, okay? Ich will nichts von Ihnen hören, außer die Antworten auf ein paar Fragen, die ich Ihnen gleich stellen werde, ist das klar?«
    Traunstein nickte, worauf ich ihm das Einstecktuch aus dem Mund zog. Er hustete erstickt auf, und es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigt hatte.
    »Also schön«, begann ich meine Gedanken zu sammeln, um Schritt für Schritt herauszufinden, ob das letzte Telefonat tatsächlich so stattgefunden hatte, wie es mir Alina auf dem Hausboot beschrieben hatte.
    »Haben Sie gestern, kurz bevor Sie nach Hause gekommen sind, Ihre Frau angerufen?«
    »Sie .« Er musste röcheln und setzte noch einmal an. »Sie war's.«
    Er keuchte angestrengt. Seine Zunge schien ihm nur unter größten Anstrengungen zu gehorchen.
    »Okay, sie hat Sie angerufen.«
    So weit stimmt das mit Alinas Schilderung überein.
    »Was hat sie gesagt?«
    Was hat die Frau, in die ich mich beinahe verliebt hätte, vor ihrem Tod zu Ihnen gesagt?
    »Sie ...«, er schluckte, »... war hysterisch. Kaum was verstanden.«
    »Hat sie etwas über ein Versteckspiel gesagt?« »Hä?« Völliges Unverständnis lag in seinem Blick. Er versuchte, mir eine Antwort zu geben, musste aber dreimal ansetzen, bevor er etwas herausbekam, was auch nur annähernd einem klaren Satz ähnelte. »Nein, nichts, nur geheult, weil die Kinder weg waren.« »Und Sie?«, fragte Alina aus dem Hintergrund. Ich war überrascht, dass sie sich in das Gespräch einschaltete, und fragte mich, ob ihr etwas an der Stimme des Mannes aufgefallen war.
    »Ja, was haben Sie darauf zu ihr gesagt?«, wiederholte ich ihre Frage.
    Traunsteins Kopf sank nach vorne, und er drohte wegzudämmern, doch bevor ich sein Kinn anheben konnte, schnellte sein Kopf mit unvermuteter Kraft nach vorne. »Soll sich beruhigen, Schlampe. Nicht das erste Mal, dass die Bälger ausbüxen.«
    Ich atmete tief durch, legte ihm die Hände auf die Schultern und sah dem wütenden, verletzten Mann direkt in die trüben Augen. Einerseits hatte ich große Lust, Traunstein für jede Beleidigung, die er gegenüber Charlie ausstieß, ins Gesicht zu schlagen. Andererseits konnte ich ihn im Ansatz sogar verstehen. Zum Scheitern einer Beziehung waren immer zwei Menschen nötig, und was immer sein Fehler gewesen war, er hatte wahrlich teuer dafür zahlen müssen. »Sie haben ihr nicht befohlen, auf keinen Fall in den Keller zu gehen?«
    »>O Gott. Wie konnte ich nur so blind sein? Es ist alles zu spät. Geh auf gar keinen Fall in den Keller.« Während ich die Frage abfeuerte, beobachtete ich, ob und wie sich Traunsteins Gesichtsausdruck veränderte. Ich hatte in meinem ersten Leben Hunderte Vernehmungen absolviert und in meinem zweiten ebenso viele Interviews geführt, meinte also so ziemlich jede menschliche Regung innerhalb eines Gesprächs deuten zu können. Doch bei Thomas Traunstein entdeckte ich nicht das geringste Anzeichen von Verblüffung oder Erstaunen darüber, wie ich in den Besitz dieser Information gelangt sein könnte. Er reagierte wie bisher - verwirrt und aggressiv. »Keller? Was'n für'n Scheißkeller?«
    Unbewusst hatte er es mit dieser Frage auf den Punkt gebracht. Alle Opfer zuvor waren in Mietwohnungen in höheren Stockwerken ermordet worden. Alles Tatorte, an denen die Mahnung an die Frau, nicht in den Keller zu gehen, kaum Sinn ergab. Wenn Alinas Vision einen wahren Kern hatte, dann konnte sie sich nur auf Charlies Ermordung beziehen.
    »Ich hab nichts von einem Scheißkeller gesagt.« Traunstein röchelte und hatte sich offenbar verschluckt, denn das Röcheln ging in einen Hustenanfall über, der den

Weitere Kostenlose Bücher