Der Augensammler
vielleicht geh ich jetzt aufs Klo und kratz mir den Arsch«, sagte Scholle und machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich habe langsam die Schnauze voll von dem mystischen Göttermist und wende mich wieder den handfesten irdischen Beweisen zu. Immerhin haben wir endlich einen Verdächtigen, der über explizites Täterwissen verfügt und seine Brieftasche am Tatort liegen gelassen hat.« Hohlfort lächelte sein Fernsehgrinsen und rollte zu dem Kleiderständer neben der Tür. »Sie wollten meine Theorie hören, meine Herren. Es tut mir leid, wenn Sie denken, ich habe Ihre Zeit verschwendet.«
Er wollte sich gerade seinen Kaschmirmantel vom Haken greifen, als die Tür aufgerissen wurde und eine junge Frau in den Raum stürmte.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie atemlos und pustete sich aufgeregt ihren blonden Pony aus der Stirn. »Was?«, fragte Stoya irritiert.
»Zorbach«, sagte sie nur, und das Blut schoss ihr ins Gesicht.
Stoya spürte, wie sich alles in ihm anspannte. »Ist er endlich gefunden worden?«
»Nein.« Sie hielt ihm ihr Handy entgegen. »Er ist am Telefon.«
54. Kapitel
(Noch 8 Stunden und 52 Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums)
Alexander Zorbach (Ich)
In seiner Villa?«
»Ja.«
»Gefesselt?«
»Mit einem Verlängerungskabel.« »Du verarschst mich doch!«
Stoyas Stimme zitterte vor Wut. Im Hintergrund hörte ich die typischen Geräusche hektischer Betriebsamkeit eines Polizeireviers. Der Mix aus Telefonklingeln, Stimmengewirr, Türenschlagen und dem Klicken zahlreicher Computertastaturen war ungewöhnlich laut und klang eher nach elf Uhr vormittags als nach spätem Abend. Doch momentan war gewiss jeder verfügbare Mitarbeiter im Einsatz; so gesehen, war es während der Spielphase des Augensammlers immer kurz vor zwölf.
»Ihr solltet mal einen Blick auf die DVD werfen, die im Wohnzimmer in seinem Player liegt.« »Sag du mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe«, bellte Stoya in den Hörer.
Ich nahm das Telefon vom Ohr und gab Frank die stumme Anweisung, an der nächsten Kreuzung nach links abzubiegen.
Nachdem Alina und ich eine gefühlte Ewigkeit vor Traunsteins Villa auf ihn gewartet hatten, war mein Volontär exakt in dem Moment eingetroffen, als Stoya meinen Anruf entgegennahm, weshalb wir möglichst geräuschlos und ohne ein Wort der Begrüßung in unser neues Fluchtauto gestiegen waren.
»Wo bist du?«, wollte der Leiter der Mordkommission von mir wissen, seine Stimme immer noch auf Befehlston eingestellt.
»Falsche Frage. Frag besser, wieso Traunstein sich lieber die Hucke vollsäuft, anstatt bei der Suche nach seinen Kindern zu helfen. Die DVD könnte dir einen Hinweis darauf geben.«
Mittlerweile hegte ich allerdings ernste Zweifel daran, dass zwischen Traunstein und dem Augensammler eine Verbindung bestand - und das nicht nur, weil Alinas Visionen im Sande verlaufen waren. Es gab weder einen Holzschuppen, noch lag der Tatort nahe genug am Teufelsberg. Das krumme Ultimatum war wohl nichts weiter als ein Zufallstreffer.
Stoya änderte seine Taktik und versuchte es mit lahmen Überredungsversuchen. »Komm aufs Revier. Ich verspreche, wir behandeln dich fair.«
»Das verschwendet nur unnötig Zeit. Kümmert euch nicht um mich. Ihr müsst den Ehemann ins Verhör nehmen.« Ich schluckte und spürte, wir mir die Tränen in die Augen steigen wollten. Charlie, verdammt...
»Pass auf, Stoya. Du musst mir glauben, dass ich immer noch auf deiner Seite spiele. Deshalb sage ich dir jetzt etwas, was mich belasten wird, okay? Ich sage es dir vertraulich, als ehemaliger Kollege.«
Um nicht die Fassung zu verlieren, öffnete ich das Beifahrerfenster einen kleinen Spalt und ließ mir den kalten Fahrtwind ins Gesicht wehen. »Traunsteins Ehefrau hatte Verhältnisse. Mehrere.«
Und dann flüsterte ich so leise, dass die Fahr- und Windgeräusche meine Worte fast verschluckten: »Auch ich kannte sie gut.«
»Was, soll das ein Witz sein? Du hattest was mit Lucia Traunstein?«, hörte ich Stoyas entgeisterte Stimme. »Nein. Zumindest nicht so, wie du denkst.« Ich bemerkte aus den Augenwinkeln, dass mein Versuch, nicht gehört zu werden, fehlgeschlagen war. Frank sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Wenigstens schien Alina auf dem Rücksitz nichts mitbekommen zu haben.
»Ich sage das nur, weil ihr euch nicht in euren Ermittlungen verrennen sollt. Vielleicht weiß der Vater, wo die Kinder sind. Verstehst du? Traunstein hat ein Motiv, nicht ich. Seine Frau hat es mit anderen
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