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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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beiden Ellbogen auf den Rückenlehnen unserer Vordersitze ab und beugte sich nach vorne.
    »Sie haben mir zur Begrüßung stumm zugenickt und die Augenbrauen hochgezogen, als ich Sie das erste Mal angesprochen habe. Jetzt gerade lächeln Sie und fahren sich dabei durch Ihre Frisur, die nebenbei bemerkt ziemlich abgefahren aussieht.«
    »Danke«, sagte sie, und tatsächlich wurde ihr Lächeln etwas breiter. »Das habe ich geübt.« »Was?«
    »Gestik und Mimik. Ich denke, das ist das Problem, wenn Sehbehinderte zu früh nur unter ihresgleichen sind. Meine Eltern haben sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, als ich nach dem Unfall auf eine Sonderschule geschickt werden sollte. Sicher, einmal im Jahr war ich in einem Camp, nur mit Blinden zusammen. Aber den Rest des Jahres ging ich auf eine öffentliche Schule und spielte mit meinen sehenden Freunden auf ganz normalen Spielplätzen. Natürlich gab es Unterschiede. Ich hatte einen eigenen Computer, mit dem ich meine Texte im Unterricht schreiben konnte, und musste beim Fahrradfahren von meinen Freundinnen in die Mitte genommen werden, damit ich mich an deren Geräuschen orientieren konnte. Aber immerhin fuhr ich mit meinem Rad. Ich knallte zwar öfter hin als alle anderen, aber meine Klassenkameraden hatten sich schnell an den Anblick der kleinen Irren gewöhnt, die auf dem Pausenhof gegen das Gerüst oder ein anderes Hindernis rannte, ohne sich davon unterkriegen zu lassen, und sofort wieder aufstand.«
    Sie ließ sich wieder in die gepolsterten Sitze der Rückbank sinken. Mit seinen braunen Schonbezügen und der Papierrolle auf der Ablage konnte das Fahrzeug nur einem Rentner gehören. Ich hätte ein Jahresgehalt darauf verwettet, dass ich im Handschuhfach ein sorgfältig gestempeltes Wartungsbuch finden würde, zusammen mit allen Papieren und Telefonnummern, die man im Falle einer Panne brauchte. Bei mir lag noch nicht einmal ein Warndreieck im Kofferraum.
    »Ich weiß nicht, wie es hier in Deutschland ist, aber in den USA gab es viele Einrichtungen, in denen Blinde mehr oder weniger sich selbst überlassen wurden. Wenn einem sehenden Kind langweilig wird, beginnt es in der Nase zu popeln, Grimassen zu schneiden, mit Bauklötzen zu werfen oder so was in der Art. Und meist ist dann jemand da, der es ermahnt. Wenn blinde Kinder unter sich sind, fällt es niemandem auf, wenn sie sich merkwürdig benehmen, oft sind ja sogar die Betreuer blind. Oder desinteressiert.« Sie tätschelte TomToms Kopf, der vor sich hindöste. Wie ein Soldat im Gefecht nutzte er offenbar jede sich bietende Gelegenheit zum Schlafen.
    »Später, wenn man sich das Augenbohren und Schaukeln erst einmal angewöhnt hat, kriegt man es nur sehr schwer wieder weg. Und die meisten Normalos denken, dieser Hospitalismus gehöre zum Krankheitsbild eines Blinden, und keiner traut sich mehr, was zu sagen. Das ist den Menschen noch unangenehmer, als dich darauf hinzuweisen, dass dir ein Popel aus der Nase hängt.«
    Sie lachte laut auf, worauf TomTom erstaunt den dicken Kopf hob.
    »Ich hatte das Glück, dass mir von Anfang an ein guter Kindergartenfreund zur Seite stand. John. Er hat mich immer korrigiert, wenn ich mich komisch benahm. Wenn ich sauer wirkte, nur weil ich konzentriert war. Oder wenn ich unbewusst mit den Augen rollte und mein Gegenüber damit nervös machte. John ist so etwas wie mein Spiegel.« Unbewusst sah ich in den Rückspiegel, und Frank drehte sich um.
    »Er brachte mir Gestik und Mimik bei. Zeigte mir all die Tricks der subtilen Gesprächstaktik.« Alina beugte sich wieder nach vorne, machte einen Schmollmund, fuhr sich lasziv mit der Zunge über die Oberlippe. Dann klimperte sie kokett mit den Augenlidern, den Kopf schräg nach unten in Demutshaltung gesenkt. Frank, der die Kostprobe ihrer Schauspielkunst verfolgt hatte, musste lachen. »Von ihm habe ich das Flirten gelernt.« Und das Lügen?
    Je mehr Zeit ich mit dieser in nahezu jeglicher Hinsicht außergewöhnlichen Person verbrachte, desto undurchsichtiger erschien sie mir. Einerseits redete sie so vernünftig, gab mir faszinierende Einsichten in die lichtleere Welt, in der sie lebte und von der ich so gut wie gar nichts wusste. Auf der anderen Seite berichtete sie von übernatürlichen Gaben, die selbst Nicci verblüfft hätten. Ich kam zu dem Schluss, dass Alina entweder eine durchgeknallte Irre oder eine begnadete Schauspielerin sein musste. Oder beides.
    Wenn ich jetzt an jene Momente im Auto zurückdenke, heute, im

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