Der Aurora Effekt
Winter erleichtert Schritte hinter der Tür und das Geräusch eines zurückgeschobenen Riegels. Hätte er gewusst, wer ihm dort gleich die Tür öffnen würde, er wäre alles andere als ruhig geblieben.
Langsam öffnete sich die Eingangstür und Winter erkannte aufgrund des blendenden Sonnenlichts erst auf den zweiten Blick, wer dort vor ihm stand. Es war nicht Heschenbach mit seiner viel zu großen Hornbrille, mit der er immer begann zu spielen. Nein, in diesem Moment wusste Winter, dass sie die falsche Entscheidung getroffen hatten und sie sehr wohl das nächste Flugzeug zurück nach Deutschland hätten nehmen sollen. Denn der Mann, der sie mit einem »Schönen guten Tag, was für eine Freude, sie wiederzusehen« begrüßte, war niemand anderes als Narbengesicht.
Winter dachte sofort an Flucht und merkte, wie Angelique neben ihm angstvoll erstarrt wie angewurzelt stand.
»Darf ich sie bitten, hereinzukommen, draußen ist es doch so kalt und ich glaube, wir haben viel zu besprechen.«
Er hatte keine Pistole in der Hand, fiel Winter noch auf, bevor er in sich zusammengesackt vor Angelique das Haus betrat. Jetzt war alles zu spät und er spürte plötzlich jeden Knochen schmerzen. War dies jetzt das Ende nach all den Strapazen? Er hätte sich ohrfeigen können, dass er sich selbst und vor allem Angelique in diese Situation manövriert hatte.
Narbengesicht geleitete sie ins Wohnzimmer, wo bereits sein grimmiger Kollege vor dem Fenster stand und ein stumm auf einem Stuhl in einer Ecke hockender Heschenbach auf ihn wartete. »Nehmen sie doch bitte Platz«, sagte Narbengesicht und zeigte auf die Sofagarnitur, auf der sich Angelique und Winter unbehaglich hinsetzten.
»Sie sind wirklich hartnäckig, das muss man ihnen schon lassen«, begann Narbengesicht, der langsam durch den Raum hin- und herschritt, um immer wieder stehen zu bleiben, um die beiden intensiv zu mustern. »Ich möchte mich an dieser Stelle für den etwas unfreundlichen Empfang in der HAARP-Anlage entschuldigen. Wir wollten sie natürlich keinesfalls töten.« Er machte eine Pause und blickte dabei wieder der völlig verwirrt dreinblickenden Angelique und danach Winter in die Augen. Winter verstand die Welt nicht mehr. Was wurde denn das jetzt?
Narbengesicht schritt wieder durch den Raum. »Wissen sie, Herr Winter, wir müssen unbedingt diesen Eric Fynn finden und Ihre Frau Isabel befindet sich offensichtlich bei ihm. Wir mussten einfach sichergehen, dass sie uns alles erzählen, was sie wissen. Daher diese kleine Schocktherapie, woraufhin wir sie ja haben absichtlich fliehen lassen. Für den Übereifer meines Kollegen mit den durchgeschnittenen Bremsschläuchen möchte ich mich bei Ihnen höflich entschuldigen.« Narbengesicht setzte ein unergründliches Grinsen auf.
»Sie haben meinen Kollegen umgebracht«, explodierte Winter plötzlich. »Kommen sie mir jetzt bloß nicht mit der Samariterrolle!«
Narbengesicht zuckte mit der Augenbraue. »Ich glaube, sie haben da `was falsch verstanden. Ich habe sicherlich nicht ihren Freund Frank Stein getötet. Das ist nicht unser Stil, Leichen zu hinterlassen. Viel zu auffällig.«
Winter verstand jetzt gar nichts mehr. »Aber sie haben ihn doch vom Dach der Agentur gestoßen. Dafür gibt es sogar Zeugen.«
»Mein lieber Herr Winter, ihr Kollege Frank Stein hatte ein latentes Drogenproblem und hatte einen Streit mit seinem Dealer. Wir haben natürlich davon gewusst und ich muss sagen, dass uns das Ganze nicht wirklich ungelegen kam, aber ich kann ihnen versichern, dass er nicht von mir vom Dach ihrer Scheißagentur geschubst wurde.« Narbengesichts Mund war zu zwei schmalen Linien zusammengepresst, nachdem er das gesagt hatte und Winter erinnerte sich an die Szene mit Petra Mende in Frank Steins Büro.
Wurde Frank Stein gar nicht von Narbengesicht getötet? Warum hatte Narbengesicht sie jetzt nicht auf der Stelle erschossen, sondern versuchte, mit ihnen zu diskutieren? Was sagte doch gleich die Alte von Gegenüber? Zugenäht. Genau das war es, woraufhin Winter direkt an die Narben von Narbengesicht dachte und daher sogleich auf ihn schloss. Es passte doch einfach perfekt. Wer hatte dann Frank Stein umgebracht? Winters Kopf schmerzte und er merkte, dass auch Angelique mit der Einschätzung ihrer Situation zu kämpfen hatte.
Narbengesicht kratzte sich am Kinn und schritt weiter durch den Raum. Immer wieder hin und her. Dann setzte er sich plötzlich und verschränkte die Arme. »So, und nun mal ans
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