Der Aurora Effekt
versuche irgendwie erfolglos die letzte Stunde hier was auf die Reihe zu kriegen«, antwortete er mit einem Lächeln.
»Ich weiß genau, was du meinst, mir geht es genauso. Ich weiß gar nicht, wohin mit mir.«
»Dann komm doch heute Abend wieder nach Hamburg«, schlug er vor.
»Ich kann nicht abstreiten, dass ich so einen ähnlichen Gedanken in Erwägung gezogen habe. Ich könnte so gegen 18.00 Uhr mit dem Zug bei dir sein«, gab sie lachend zurück.
»Perfekt, Frau Brockhaus, ich werde sie abholen.«
Nachdem Winter den Hörer aufgelegt hatte, ging es ihm sichtlich besser, Angelique tat ihm gut, richtig gut. Keine Frage.
Winter wollte einen ernsthaften Versuch starten, sich seiner aufgelaufenen Arbeit zu widmen, als das Telefon erneut schellte. Erst dachte er, Angelique wollte ihm noch etwas mitteilen, dann wurde er aber von einer männlichen Stimme eines besseren belehrt. Stefan Schneider, sein Schulfreund, wollte sich spontan mit ihm zu einem Kaffee treffen, warum eigentlich nicht. Sie verabredeten sich dreißig Minuten später beim Starbucks um die Ecke, wo sie sich nach so langer Zeit erstmals wieder getroffen hatten.
Rasch begann Winter noch ein paar Emails zu bearbeiten, damit er wenigstens sein Gewissen beruhigen konnte, dass er etwas gearbeitet hatte und machte sich kurze Zeit später auf den Weg. Beim Hinausgehen aus der Agentur kam Winter eine Idee. Prüfend schaute er auf das Fenster, aus der immer die alte Dame hinausschaute. Das Fenster stand zwar offen, doch niemand war zu sehen, vielleicht auf dem Rückweg, dachte er.
Im Starbucks erwartete ihn sein Freund bereits mit einem Kaffee Latte. »Schön, dass du dich kurz freimachen konntest«, begrüßte Schneider ihn. »Ich war gerade zufällig in der Gegend und dachte mir, das wäre der perfekte Zeitpunkt für ein kleines Schwätzchen«.
Winter grinste, er glaubte irgendwie nicht an ein zufälliges Treffen mit Schneider, wurde aber nach mehreren Minuten belanglosem Gequatsche dann doch eines besseren belehrt. Schneider wollte anscheinend wirklich nur über Gott und die Welt reden und diesmal nicht so tiefgreifende Themen ansprechen wie beim letzten Mal. Winter war erleichtert, hatte er sich doch nach seiner schnellen Zusage zu diesem Treffen schlagartig an ihr letztes Treffen und den alles andere als angenehmen Gesprächsinhalt erinnert, er entspannte sich.
Zwei Kaffee Latte und ein Croissant später schaute Winter auf seine Uhr. »Ich muss so langsam wieder zurück in die Agentur, da stapelt sich leider die Arbeit.«
»Kein Problem Mark, ich begleite dich noch ein Stück zurück.«
Die Sonne hatte nun die Oberhand gewonnen, als Winter und Schneider die Strasse zurückschlenderten. Herrlich, tief atmete Winter die frische Morgenluft und sog die Geräusche des nahen Hafenbereichs in sich ein. Alles wird gut, sagte er sich immer wieder und langsam schien er seinen Frieden mit sich selbst wiederzuerlangen.
Im Foyer vor der Agentur wollte Schneider sich von Winter gerade verabschieden, als diesem eine spontane Idee kam. »Du kennst meinen Arbeitsplatz ja noch gar nicht, hast du nicht Lust, kurz mit hochzukommen?«
Schneider zögerte einen kurzen Moment und nickte dann. »Ja, warum eigentlich nicht.« Er folgte Winter, der sich sogleich in Richtung der Aufzüge begab.
Sekunden später drängten Winter und Schneider sich in den bereits überfüllten Aufzug, eine asiatische Geschäftsdelegation schien einem Büro im vierten Stock einen Besuch abstatten zu wollen, jedenfalls war der Knopf für das vierte Stockwerk, zwei Etagen unterhalb der Agentur, gedrückt. Schneider drückte auf den Knopf für die sechste Etage, in der sich die Agentur befand und der Aufzug setzte sich in Bewegung.
Winter atmete auf, als die Asiaten ausgestiegen waren, er hasste überfüllte Aufzüge.
»Bei euch scheint ja hier immer richtig was los zu sein«, bemerkte Schneider beiläufig, als die Türen sich erneut schlossen.
»Ja, wie im Taubenschlag manchmal«, antwortete Winter. Plötzlich überschlugen sich seine Gedanken. Stefan Schneider war das erste Mal in diesem Gebäude, woher wusste er, dass die Agentur im sechsten Stock lag? Beim Einsteigen hatte sein Unterbewusstsein Alarm geschlagen, aber erst jetzt nahm er zur Kenntnis, dass Schneider scheinbar zielsicher auf den Knopf für die sechste Etage gedrückt hatte.
»Was ist los mit dir Mark, ist dir nicht gut?«, drang Schneiders Stimme zu Winter durch, der plötzlich kalkweiß wurde.
Scheinbar wie von selbst
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