Der Ausflug
Handarbeit war, durfte man in die sozialtherapeutische Werkstatt. Doch das Baumwollgarn war in ihren schwitzigen Händen steinhart geworden, und für feine Näharbeiten hatten sich ihre kurzen Finger als zu plump erwiesen. Sie hatte bitterlich geweint, als sie ihren Traum aufgeben musste. Zum Trost waren Veronica und Beatrijs mit ihr losgezogen, um ein Kleid für Gwens Hochzeit zu kaufen. Bobbie war hin und weg gewesen von einem blauseidenen Etwas, in dem sie aussah wie ein Lampenschirm, überglücklich. Beim Floristen hatten sie sich mit Rosenblättern eingedeckt, die Bobbie später, auf den Stufen des Rathauses, konzentriert über sich selbst anstatt über ihren Bruder und ihre Schwägerin ausgestreut hatte.
Aber auf ihre Weise war Bobbie ganz auf dem Posten, keine Frage. So klar, wie sie immer ausdrücken konnte, was sie bewegte. (»Weißt du, was ich gerne mal möchte, Beatrijs? Auch mal über irgendwas ganz viel wissen.«) Mit dem Gefühl, sie zu verleugnen, sagte Beatrijs: »Ich glaube nicht, dass sie so ganz erfasst hat, was du meintest.« Sie streckte die Hand aus, um Leander durchs Haar zu streichen.
Ihr Geliebter zog bockig den Kopf zurück, sodass sie nicht an ihn herankam. »Ich war ja wohl deutlich genug. Bobbie ist ein seltener Mensch mit einem besonderen Auftrag, das und nichts anderes habe ich heute Mittag zu ihr gesagt.«
Niels rannte durchs Gebüsch und zog Toby mit sich. Das unbeendete Spiel lockte, und mit ein wenig Glück würden die Erwachsenen noch Stunden am Tisch sitzen. Unter den Bäumen war es schon stockfinster. Es war, als würde das Spiel dadurch auch finsterer, spannender, fremdartiger und gruseliger.
So schnell er konnte, schleppte Niels totes Holz zusammen, das hier und da herumlag. Vor Anstrengung schnaufend, half Toby mit. Sie türmten die Zweige um den Metallkessel herum auf. Dann traten sie einen Schritt zurück, um das Resultat in Augenschein zu nehmen. Es war genau richtig.
Jetzt war alles nur noch eine Frage der Zeit. Und des Zufalls natürlich. Vielleicht würde es Marleen treffen, die ja immer die Anführerin war. Oder Marise oder eine von den kleinen Sommersprossengesichtern. Das Schicksal würde bestimmen, wer sich als Erster hier in die Nähe wagte. Dem Schicksal lag nichts daran, fair, gerecht oder auch nur logisch zu sein. Es schlug gleichgültig zu, ohne darauf zu achten, wen es erwischte. Gerade war noch kein Wölkchen am Himmel, und im nächsten Moment ereilte ein unbeschreiblicher Schicksalsschlag sein ahnungsloses Opfer. Nur darauf konnte man beim Schicksal vertrauen: dass es unerwartet kam.
Das Picknick
Panisch sperrte Laurens die Augen auf. Sein Herz hämmerte. Er schwitzte wie ein Tier. Erst nach einigen beklommenen Momenten erkannte er die Dachbalken wieder, die verblichenen Tapeten an den Wänden und die spinnwebartige Häkelarbeit, die Gwen mit Heftzwecken vor dem Dachgaubenfenster befestigt hatte. Er setzte sich auf. Er war gar nicht auf der Intensivstation. Nicht das Piepsen des Monitors hatte ihn geweckt, sondern der Gesang der ersten Vögel, die unbeschwert in der Dachrinne zwitscherten. Veronica hätte gesagt: Hörst du den Unterschied denn wirklich nicht? Tiiht! macht die Heckenbraunelle. Zi-zi-zi-tä! macht die Kohlmeise. Und der Zilpzalp ruft seinen eigenen Namen. Ist doch ganz einfach, Schatz. Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du nicht einmal das Lied der Amsel erkennst? Laurens! Komm her, ich pfeif es dir ins Ohr, ich puste dich um, du Dummerjan, komm mal her mit deinem Ohr.
»Veer«, flüsterte er. »Wo bist du?«
Als wüsste er das nicht genau. Tief unter der Erde.
Er stand jetzt besser auf, sonst starrte er für den letzten Rest der Nacht wieder mit brennenden Augen zwischen ihr und diesem verdammten Monitor hin und her.
Im Etagenbett, das an der Längswand des Gästezimmers stand, bewegten sich seine Jungs im Schlaf. Toby mit an der Seite herunterbaumelnden Armen. Niels, wehrlos auf demRücken liegend, leise schnarchend. Laurens’ Herz füllte sich so mit Angst und Liebe, dass er den Blick abwenden musste. Halb fünf? Fünf Uhr?
Er zog seine Sandalen an. Sonderbar war das. Höchst sonderbar sogar, dass man tagsüber kompetent einen Betrieb zu leiten schien, Verhandlungen führte und Verträge unterzeichnete, Papier einkaufte und neue Druckmaschinen bestellte, Leute einstellte oder entließ, während man sich Nacht für Nacht in totaler, pechschwarzer Verzweiflung fragte: Und wer nimmt sich meiner an, wer sorgt für
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