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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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mich?
    Der Gedanke ärgerte ihn. Er sagte sich: Ich selbst natürlich, wer sonst?
    Mit sich unzufrieden, ging er die Treppe hinunter. In der Küche nahm er ein Stück Brot aus dem Brotkasten. Bedächtig kauend ging er nach draußen und blieb einen Moment auf der Terrasse stehen.
    Der Geruch taufrischer Gewächse wehte ihm entgegen. Er konnte vielleicht eine Eiche nicht von einer Ulme unterscheiden, aber er war doch gern im Freien. Er war gerade auf den Rasen gegangen, um die frische Luft mit zurückgelegtem Kopf tief in seine Stadtlungen einzusaugen, als er am noch bleichen Himmel etwas Rätselhaftes wahrnahm. Mit großer Geschwindigkeit schwirrte dort etwas heran, das aussah wie ein Schwarm. Zunächst fürchtete er, es seien Timos Bienen, die um Sonnenauf- und -untergang herum am aktivsten waren. Er wollte schon zurückweichen, aber nein, es konnten gar keine Bienen sein, die flogen ja viel tiefer. Er spähte nach oben und musste unwillkürlich an Ufos, ja sogar an Kornkreise denken. Niemand würde ihn je behaupten hören, dass es zwischen Himmel und Erde nichts gab. Vielleicht war das ja gerade sein Problem.
    Mit einem Schwenk begann sich die Wolke abwärts zu bewegen. Zu seiner großen Verblüffung wurde jetzt sichtbar,dass sie aus lauter undefinierbaren, bunten Teilchen bestand. Blau, Grün und Gelb wirbelten umeinander herum. Er war völlig gefangen von diesem Anblick. Hatte der Allmächtige beschlossen, es heute Morgen aus seiner mächtigen Hand Konfetti regnen zu lassen, speziell für ihn?
    Schmetterlinge waren es nicht, die hatten weniger Masse und flogen auch nicht so schnell.
    In sich kreisend flog der bezaubernde Schwarm mit einem merkwürdig schnarrenden Geräusch über seinen Kopf hinweg, wobei er sich anscheinend immer zielgerichteter abwärts bewegte, um dann hinter einer Eiche oder Ulme außer Sicht zu geraten. Laurens zögerte nicht eine Sekunde und rannte hinterher. Er war aufgeregt, so als hätte eine tief in seinem Inneren vor sich hin schlummernde Weisheit sofort eine Verbindung zwischen diesem unerklärlichen, märchenhaften Phänomen und seinem eigenen Leben erkannt. Als werde ihm hier, in Gwens Garten, neue Inspiration, neue Motivation, ja vielleicht sogar die Ahnung einer neuen Zukunft eröffnet.
    Er rannte an den Rhododendren und der Reihe von Bäumen vorbei, nicht linksab zur Kerzenmacherei, sondern den anderen Weg entlang. Diese Richtung hatte die Konfettibö eingeschlagen, aufs Sommerhaus zu.
    Mit ausgebreiteten Armen stand Bobbie in einem weißen Nachthemd reglos im Gras vor ihrem Haus, ein glückseliges Lächeln auf dem Vollmondgesicht. Um sie herum flatterten Dutzende kleiner Sittiche, jetzt sah er es erst, es waren Sittiche oder kleine Papageien. Flügelschlagend pickten sie nach dem Futter, das Bobbie in den Händen hielt. Einige waren so kühn gewesen, auf ihren Schultern zu landen, und einer spazierte vorwitzig auf ihrem Kopf hin und her. Die Sonne stand gerade hoch genug, um ein breites Band zarten Lichts über das Dach des Hauses zu werfen. Vor dem Hintergrund der düsterenBäume und Büsche wirkte das wie ein auf die Szenerie gerichteter Scheinwerfer.
    Laurens stand da wie am Boden festgenagelt. Die Welt taugte nichts, das Leben war ein Kreuz, der Mensch war sterblich und in der Regel auch noch erschreckend herzlos, aber dann auf einmal das hier: ein Sommermorgen mit einer Frau in weißem Nachthemd und einem Schwarm Sittichen.
    Als Bobbie ihn sah, lachte sie ihm lautlos zu. Vorsichtig hob sie die Hand und winkte ihm mit den Fingern.
    Und blitzartig sah er den Rest seines Lebens vor sich, hier, im Sommerhaus, wo nie die Dunkelheit anging. Jeden Morgen würde es Konfetti regnen, und jeden Abend würden Bobbie und er zusammen die Kassenlade auf dem Küchentisch auskippen und das Geld zählen, das sie am Tage eingenommen hatten. Toby und Niels würden das ganze Jahr über Baumhäuser bauen können, und nie mehr würde er denken müssen: Mir darf nichts passieren, weder jetzt noch sonst irgendwann, denn dann sind meine Kinder verloren.
    »Bobbie!«, sagte er und trat einen Schritt vor.
    Sofort flogen die Vögel auf, in einem Gewirr von Farbe und Gekrächz.
    »Trampeltier!«, entfuhr es Bobbie aus tiefster Seele. Sie schaute den davonschwärmenden Sittichen nach und sah dann zu ihm herüber. »Ja, na, also wirklich, Laurens. Echt.«
    Er kam sich bescheuert vor. »Mist. Jetzt hab ich sie verscheucht.«
    »Ach.« Schon wieder lakonisch, zuckte sie die Achseln. »Morgen kommen sie

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