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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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wieder.«
    »Kommen sie denn jeden Tag?«
    »Ich stell extra den Wecker für sie. Ich hab nämlich einen Wecker!«
    »Aber wo kommen die denn her? Und seit wann...«
    Sie musterte ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Belustigung. »Ich koch jetzt Kaffee. Magst du auch, oder hattest du schon einen?«
    »Nein. Gern. Aber...« Es berührte ihn, wie unbefangen sie dastand, in ihrem zerknitterten Nachthemd, barfuß.
    »Wie jetzt, nein oder gern?« Sie kicherte mädchenhaft. »Du musst dich schon entscheiden, Laurens, sonst wird das nichts.«
    »Kaffee, gern.« Vielleicht brauchte man auch nicht alles zu wissen, alles zu verstehen. Das war ein angenehmer, leichter Gedanke. Das Bild der Vögel noch auf der Netzhaut, folgte er Bobbie ins Haus.
    Drinnen setzte er sich an den Küchentisch, der mit rot-weiß kariertem Wachstuch bedeckt war. Keineswegs wahllos, denn im Regal über der Arbeitsplatte standen, immer hübsch abwechselnd, rote und weiße Becher, und in Streifen kehrte das Motiv auch in den Topfhandschuhen und Geschirrtüchern an den Haken neben dem Herd wieder. Sogar der Pfeifkessel war rot. »Donnerwetter, du hattest bestimmt einen Innenarchitekten im Haus«, sagte er.
    Darüber musste Bobbie mächtig lachen.
    Auf der Fensterbank stand ein Glas mit Samenkörnern. Er stellte sich Bobbie auf ihrem Fahrrad vor, mit dem Korb vorne drauf, auf dem Weg zur Zoohandlung, um Körner für die Sittiche zu kaufen. Bobbie die Vogelfee, blind darauf vertrauend, dass die Tierchen weiterhin kommen würden, jeden Tag wieder. Bobbie, für die das Wundersame völlig normal war und das Normale wundersam.
    Sie bereitete den Kaffee auf die altmodische Art zu, mit Filter und kochendem Wasser aus dem Kessel. Unterdessen plapperte sie endlos über einen Streich, den die Engel ihr kürzlich gespielt hatten. »Ich bin natürlich wieder darauf reingefallen«, sagte sie schmunzelnd.
    »Du bist einfach eine Supertante. Dank dir...«
    Mit einem Mal bebten ihre Lippen, und sie stieß hervor: »Aber es ist natürlich viel schöner, wenn es die eigenen Kinder sind.«
    Er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte.
    »Jemine, ich glaub, ich krieg ’n roten Kopf«, sagte Bobbie und fasste sich mit beiden Händen an die Wangen.
    Unbeholfen entgegnete er: »Das macht doch nichts!«
    Sie kehrte ihm den Rücken zu und fing an, mit Geschirr herumzuklappern. Der Kragen ihres Nachthemds war nach innen gedreht. Ein kleines gelbes Daunenfederchen klebte daran. Das gab Laurens den Rest: Seine Augen füllten sich mit Tränen. Was man nicht besaß und nie besitzen würde, konnte offenbar genauso viel Schmerz verursachen wie etwas, was man gehabt und verloren hatte. In jedem Leben gab es Kummer über irgendetwas, was man vermisste.
    »So was aber auch«, sagte Bobbie, wie um sich selbst zu ermahnen. Dann drehte sie sich um, eine Tasse Kaffee in jeder Hand. »Milch hab ich nicht, aber Zucker. He, hast du was im Auge?« Fürsorglich beugte sie sich zu ihm herüber. Unter dem dünnen weißen Stoff ihres Nachthemds bewegten sich ihre Brüste.
    Er setzte sich auf. »Ist schon weg.«
    »Jetzt noch einen Keks dazu.« Sie holte eine Dose aus einem der Küchenschränke, nahm den Deckel ab und stellte sie auf den Tisch. Sie war rot mit weißen Punkten.
    »Jetzt setz dich doch endlich mal, Mensch.«
    »Ich kann arbeiten wie ein Pferd«, sagte sie stolz. »Hat Timo selbst gesagt.«
    »Und Gwen findet das auch.«
    Sie winkte ab. »Gwen ist zu gut für diese Welt.«
    »Wenn du mich fragst, besteht eure Familie aus lauter Kanonen.« Er dachte: Vielleicht können sie mich und die Jungen ja adoptieren! Die Unsinnigkeit dieses Gedankens machte ihmwieder bewusst, wie ratlos er war. Würde so sein weiteres Leben aussehen: dass er sich bei jedem Schritt nur knapp am Rand des Abgrunds seiner Verzweiflung vorbeibewegte?
    »Ich hab Gwen bei allen Babys geholfen«, sagte Bobbie verträumt. »Baden, anziehen, einfach alles haben ich und Gwen zusammen gemacht.«
    »Baden? Das fand ich immer lebensgefährlich.« Einfach weiterreden, weiteratmen, weitermachen.
    »Aber sie können doch schwimmen! Das verlernen sie erst, wenn sie ein Jahr alt sind.« Sie maß ihn mit leicht zweifelndem Blick, als frage sie sich plötzlich, ob seine Kinder wohl normal waren, und falls nicht, wessen Schuld das dann wohl war. Dann sagte sie nachsichtig: »Aber wir geben ihnen natürlich auch Gelée royale.«
    Es half nicht mehr. Der Moment war vorüber. Nicht einmal ein zweiter Schwarm Sittiche würde ihm

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