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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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verschossenen Denimrucksack auf, das ging natürlich nicht mehr.
    »Gwen!«, sagte Timo. Konfus sah sie ihn an.
    »Können wir mit der Rekonstruktion weitermachen?« Er hatte Falten um die Augen, die gestern noch nicht da gewesen waren. Einfach so, vom einen auf den anderen Moment, war das Leben nicht mehr sicher und verlässlich.
    Sie nickte matt.
    »Wir übersehen irgendetwas«, sagte der lispelnde Ermittler in entschiedenem Ton. »Das ist immer so.«
    Bobbie trabte inzwischen mit einigen Metern Vorsprung vor ihr über die Wiese. Sie hatte Gummistiefel an, große grüne Stiefel. Ihr rechtes Hosenbein war fein säuberlich in den Schaft gestopft, das linke flatterte wild im Wind. Auch die Schöße ihres beigefarbenen Kittels, den sie immer im Laden über ihren Kleidern trug, wehten in alle Richtungen. Aus der Entfernung sah es so aus, als würde der Wind nicht die geringste Mühe damit haben, ihre plumpe Gestalt in die Luft zu wirbeln.
    Gwen trottete in dem sicheren Wissen hinter ihr her, dass über sie selbst auch der schlimmste Sturm keine Gewalt haben würde. Sie war dazu verdammt, sich für immer und ewig auf der Erde abzumühen. Etwas in ihr konnte einfach nicht mehr aufsteigen. Einerseits verursachte Verlust ein so bodenloses Gefühl des Ausgehöhltseins, dass man immer meinte, die Schwerkraft sei aufgehoben und man befinde sich in einempermanenten Schwebezustand; doch zugleich und noch stärker fühlte man sich wie von einer zentnerschweren Last niedergedrückt und geradezu in die Erdkruste gestampft.
    Bobbie blieb stehen und drehte sich mit einem unsicheren Ausdruck im Gesicht um. »Guck mal, Gwen, das ist es. Das habe ich für dich gemacht.«
    Sie waren bei dem Kastanienbaum vom Picknick angelangt. An seiner Rinde war ein rot-weißes Band befestigt. Es war nicht lang genug, um den ganzen Stamm zu umspannen, und deshalb mit Heftzwecken festgepinnt.
    »Ich hätte etwas mehr gebraucht«, sagte Bobbie. »Aber das konnte Laurens natürlich nicht wissen. Das wusste ich ja zu dem Zeitpunkt selber noch nicht.«
    Zu ihrer Überraschung spürte Gwen beim Anblick dieses kläglichen, zu kurzen Bands, wie ihr die Tränen kamen. Wo sie doch gedacht hatte, sie sei über die Tränen hinaus, ganz und gar ausgetrocknet. Diese ausgefransten Enden, die nicht zusammenkamen: eine vergebliche Umarmung ins Luftleere, eine Umarmung, der die Person fehlte, die umarmt werden sollte... es war wunderbar adäquat. »Das ist aber ein guter Einfall von dir.«
    Bobbies Gesicht erhellte sich. »Es ist ein Monument.« »Ja, das sehe ich.«
    »Ein Denkmal. Weil Babette hier zuletzt war.«
    »Zuletzt gesehen wurde. Das meinst du doch, nicht?« Bobbie sah sie verständnislos an.
    »Zuletzt gesehen , Bob !« Sie hörte selbst, wie panisch ihre Stimme klang. (»Die Ungewissheit ist am schlimmsten, wissen Sie. Deshalb erleben wir es auch so oft, dass Menschen den Ort des Verschwindens irgendwann markieren wollen, mit einem kleinen Stein, einem Zeichen. Damit zumindest irgendwas Greifbares da ist. Sodass sie eine Art Grab haben. Man muss nun mal fünf Jahre vermisst sein, bevor man für tot erklärtwird, so ist das offiziell, aber wer hält das aus, fünf Jahre Ungewissheit? Fünf Jahre lang nicht aus dem Haus gehen, weil das Telefon klingeln könnte? Fünf Jahre lang nichts mehr genießen können? Das sind Tragödien. Man versteht nicht, wo die Menschen sich selbst lassen in all der Zeit, in der sie nicht einmal anfangen können, Abschied zu nehmen, zu akzeptieren und zu trauern. Hoffnung ist etwas Schönes, aber sie kann zum ärgsten Feind werden, das können Sie mir glauben.«)
    Nervös sagte Bobbie: »Aber guck doch erst noch mal weiter, Gwen, denn hier auf dem Boden hab ich...«
    Warum wurde einem so etwas eigentlich erzählt, über den Rand einer Teetasse hinweg? Doch wohl hoffentlich nicht, um einen so schnell wie möglich in Trauer zu stürzen und die Sache damit vom Hals zu haben? Stand Babette überhaupt noch ernsthaft auf der Tagesordnung? Und war es nun derselbe Beamte gewesen oder vielmehr der andere, der ihr von Anfang an zu verstehen gegeben hatte, dass er nichts wissen wollte von »Hellsehern, die nur dazu beitragen, dass Unschuldige verdächtigt und manchmal sogar belästigt werden. Erinnern Sie sich noch an diesen Croiset mit seiner eitlen Visage, der früher andauernd im Fernsehen war? Wegen dem ist zum Beispiel mal ein alter Mann von den Angehörigen eines Vermissten so zusammengeschlagen worden, dass er hinterher blind war. Und

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