Der Ausflug
schon einiges ab, das alles allein aufrechtzuerhalten.
Er stieg über die in der Diele auf dem Boden liegende Post hinweg und brachte das Essen in die Küche. Ohne den Mantel abzulegen, schenkte er sich ein Gläschen ein und begann, den Tisch zu decken.
Der Triumph, dass er es wieder einmal rechtzeitig geschafft hatte, sodass Niels und Toby wenigstens nicht in ein leeres Haus kommen würden, hob seine trübselige Stimmung vorübergehend an. Er hatte sogar noch Zeit, den vollen Mülleimerbeutel auszuwechseln. Und auch dazu, die indignierten Zeilen der Putzfrau zu lesen, die sie auf einem Zettel auf der Arbeitsplatte hinterlassen hatte: Sie brauche Scheuerschwämme, ein neues Paar Gummihandschuhe, WC-Frisch, Viss und Antikal, und zwar genau das, wie er schon seit Wochen wisse. Das war nicht mehr und nicht weniger als ein Ultimatum.
Erst als er in der Diele seinen Mantel aufhängte, hob er die Post vom Boden auf.
Nahezu wöchentlich kam noch Post für Veronica. Er konnte noch so viele Abonnements kündigen und wohltätige Einrichtungen informieren, es lag doch jedes Mal wieder ein Umschlag für sie auf der Matte, eine noch nicht beendete Versicherung, eine Aufforderung, den Beitrag für irgendeine obskure Mitgliedschaft zu entrichten, eine Einladung zu einer Ausstellung oder Werbebriefe von Geschäften, deren Kundin sie gewesen war. Die Zahl der Mailinglisten, auf denen seineFrau immer noch geführt wurde, schien genauso endlos zu sein wie die der Organisationen und Verbände, denen sie in irgendeiner Weise angehört hatte. Jede Postsache machte sie irgendwie fast wieder lebendig und erinnerte ihn überdies quälend an die zahllosen Stunden, die sie allein, auf eigene Faust, ohne ihn verbracht hatte und somit einen Teil ihres Lebens unter Unbekannten gelebt hatte. Sie hatten schließlich nie zu den Ehepaaren gehört, die immer aneinander klebten und alles gemeinsam machen mussten. Das hatten sie beide weder nötig noch romantisch gefunden. Erst später bereute man dann jede Sekunde, die man seine Frau ihre eigenen Wege hatte gehen lassen. Und zwar zutiefst.
Er spürte, dass er schon wieder die Zähne zusammenbiss, so sehr stand er unter Stress. Unbesehen legte er den kleinen Stapel Briefe in den Obstkorb auf dem Küchentisch. Sein Blick fiel auf eine Grapefruit, die er selbst, soweit er sich erinnern konnte, nicht gekauft hatte. Dass die meuternde Putzfrau eine kleine Aufmerksamkeit hinterlassen hatte, war nicht sehr wahrscheinlich. Doch bevor er sich wundern konnte, knarrte die Eingangstür auf, und die Stimmen seiner Söhne schallten durchs Haus.
Wir haben jetzt Schlüsselkinder, Veer.
Für Niels war es am schlimmsten. Der war gerade dabei, ein großer Junge zu werden, und musste nun jeden Tag zur nachschulischen Betreuung für die Kleinen, um dort auf Toby zu warten; und dass du Toby unterwegs ja immer schön an der Hand hältst, vergiss nicht, was mit Babette passiert ist!
Aber vielleicht war es für Toby letztlich noch viel schlimmer. Denn wie viele Erinnerungen hatte ein Vierjähriger? Er hatte viel zu wenig gemeinsame Geschichte mit seiner Mutter gehabt, um mit einem fest verankerten Bild von ihr aufzuwachsen. Er würde groß werden, ohne zu wissen, wer und was sie gewesen war.
»Wir vermissen dich so«, sagte er laut, um den Gedanken zu vertreiben, dass Veronica für Toby irgendwann nicht mehr sein würde als eine Frau auf einem Foto, eine Frau, über die sein Vater Anekdoten erzählte, immer wieder dieselben Anekdoten, bis zum Verrücktwerden, weil der Vorrat nun mal begrenzt war und nicht aufgefüllt wurde.
»Papa!«, rief Toby, der in die Küche gerannt kam. Seine Wangen waren rot. »Ich kenne ein fettes Lied!«
»Das musst du mir nachher auch beibringen.« Er hob den strampelnden kleinen Kerl hoch und drückte ihn an sich. »Und du, Niels, was hast du für Neuigkeiten?«
»Mwah«, kam es von seinem ältesten Sohn. Ohne seine Jacke auszuziehen, setzte er sich an den Tisch. »Gibt’s schon wieder Indonesisch? Ich mag kein Bami mehr.«
In dem Moment klingelte es. Laurens betastete seine Krawatte, die ganz schief hing. »Da ist Beatrijs schon, Jungs.« Toby rannte zur Tür.
»Jacke aus, Niels.« Er ging in die Diele, um Beatrijs zu begrüßen.
Sie hatten sich seit dem Sommer nicht mehr gesehen. Nervös und abgekämpft sah sie aus, fand er. Sie trug einen wenig vorteilhaften, knöchellangen karierten Rock und Sportschuhe. Er musste sich tief hinabbeugen, um ihr einen Kuss zu geben. Bisher hatte er
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