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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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übel, auch wenn sie nicht wollen.« Missbilligend blickte sie in die verständnislosen Gesichter. »Die Drei ist eine heilige Za-hahl!«
    »Ach so«, murmelte Marise.
    »Ich hab das mal erlebt, Jesus Christ, da fing so ’n Glas an zu scheppern und zu wackeln! Nicht zu bremsen. Da kannst du dann sicher sein, dass sie mausetot sind. Also, eins steht fest, und das könnt ihr eurer Mutter sagen: Babette ist quicklebendig!«
    Nach einem Moment sagte Marleen: »Boah. Ich wünschte, ich könnte das auch.«
    »Du ahnst ja gar nicht, was ich noch alles kann.«
    Niels ließ seinen kleinen Bruder los. Er schaute noch einmal genau auf das Glas. Nein, es stimmte, es hatte sich nicht um einen Millimeter verschoben. Er fasste wieder Mut. Vielleicht ging es Babette ja ganz prima, wo immer sie auch war. In so einem morphologischen Feld gab es schließlich jede Menge Hamster, und die hatten kleine Mädchen für ihr Leben gern. Vielleicht hatte er dem Baby ja einfach zu einer super Zeit verholfen.

ZWEITER TEIL
    Herbst

 
Vermutungen
     
    Noch nie war Gwen so dankbar dafür gewesen, dass es so etwas wie die Schule gab. Dadurch konnte sie, sowie die Mädchen mit ihrem Radau morgens aus dem Haus waren, wenigstens wieder ins Bett zurück, um in einen halb bewusstlosen Dämmerzustand zurückzusinken. Fünf, sechs Stunden lang würden von ihr keine Aufmerksamkeit, kein Einsatz, keine Tatkraft erwartet. Andererseits nagte dann freilich das Bewusstsein an ihr, dass sie ihre Kinder vernachlässigte, ja im Stich ließ. Aber sie hatte schlichtweg nichts zu geben, rein gar nichts, sie war ein wandelndes Loch, eine gähnende Leere, sie war nichts als ein langer, lautloser Schrei, oder eigentlich nicht mal das, sie empfand einfach nichts mehr, so erschöpft war sie vom Warten, vom jetzt schon mehr als sieben Wochen andauernden Warten. Sogar als Karianne sie kürzlich mit zitternden Lippen gefragt hatte: »Aber du bist doch froh, dass wir noch da sind, nicht?«, waren ihre Augen trocken geblieben.
    Sie drehte sich zwischen den verschwitzten Laken auf die Seite, um einen misstrauischen Blick auf ihren Feind, den Wecker, zu werfen. Nur noch anderthalb Stunden. Das Unding ging natürlich vor.
    Wozu sollte sie noch aufstehen? Die Mädchen hatten schließlich auch noch einen Vater. Wendet euch mal an Papa.
    Unter den Bienen war die Faulbrut ausgebrochen, und Timo musste die infizierten Völker eigentlich vernichten, bevor dieKontrollbehörde dahinterkam, wie er jeden Abend sagte, wenn er sich in der Küche den faden Lehmgeruch der Krankheit von den Händen wusch. Doch dann hing ihm wieder ein Engel am Arm, oder eine von den Kleinen lehnte sich an ihn und weinte untröstlich. Lieb und geduldig ging er auf ihre Fragen, ihre Klagen, ihr Geschrei und Gehabe ein. Sein jüngstes Kind war verschwunden, galt als vermisst (»Das ist am schlimmsten, wissen Sie, ein Grab ist sozusagen besser als diese Ungewissheit, das merken wir den Betroffenen immer wieder an, Ungewissheit ist schlimmer als der Tod«), aber er holte das Jakkolo-Brett vom Dachboden, das Jakkolo-Brett, man stelle sich das vor, und spielte, rief und schrie stundenlang mit der ganzen Meute. Ablenkung, sagte er. Ja, alle brauchten Ablenkung. Es lag an ihr, dass sie schon bei der kleinsten Kleinigkeit ausrastete, es lag an ihr, dass die einzige Empfindung, die sie noch hatte, schärfste Irritation war. Sie sollte vielmehr dankbar sein, dass es Timo gelang, so unerschütterlich zu bleiben.
    Zusammen mit Marleen und Marise hatte er einen Kalender gemacht. Darauf wurde jeder Tag, den es nun schon dauerte, rot umrandet. Noch vor dem Frühstück schwangen Marleen und Marise allmorgendlich den Buntstift.
    Gereizt strich sie sich die Haare aus dem Gesicht, um erneut auf den Wecker zu schauen. Sogar ihre eigenen Haare gingen ihr auf die Nerven.
    Und dann ständig diese Anrufe! Offenbar waren sich nur wenige Leute darüber im Klaren, was in diesem Haus ablief, wenn das Telefon klingelte. Dass man mit noch heruntergelassener Hose vom Klo wegstürmte, notfalls zum Hörer kroch, riskierte, sich die Beine zu brechen, nur um noch rechtzeitig dran zu sein. Alle telefonierten lustig drauflos und erkundigten sich nach Neuigkeiten. Nur Beatrijs war so weise, zu einer vereinbarten Zeit anzurufen. Jeden Nachmittag um Punkt fünfwar sie am Apparat – ein Fels in der Brandung, ein Segen. Sie verplemperte nicht eine Sekunde mit Fragen oder Höflichkeitsfloskeln. »Ja, ich bin’s, Gwen. Leander hat sie wieder gesehen.

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