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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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während sie die Geldscheine vor ihn hinlegte.
    Er nickte nur kurz.
    »Ich habe Äpfel dabei. Möchtest du einen?«
    »Nein, keinen Appetit.«
    Weil es nur einen Stuhl gab, blieb sie im Türrahmen stehen.
    Auf einmal sah er sie direkt an. »Ach, Gwen, ehe ich es vergesse. Könnte ich dir dieses Wochenende Yaja anvertrauen? Ich muss mal zu Kräften kommen.«
    »Ist schon wieder ihr Wochenende?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen. Sie hatte Timo versprochen, ihm beim Räumen der Bienenkästen zu helfen. Diese traurige Arbeit konnte sie ihn nicht allein machen lassen. In diesen Kästen steckten sein Herz und seine Seele. Aber es half alles nichts mehr. Desinfizieren und von vorn anfangen, das war jetzt die einzige Lösung. Die mit toten Honigbienen und Arbeiterinnen mit gebrochenen Flügeln übersäte Bienenweide glich schon fast einer Geisterstadt.
    Im Frühling haben wir neue Völker, dachte sie, o ja, mehr als genug! Aber konnte man sich darauf verlassen? Konnte man überhaupt mit irgendetwas ganz fest rechnen? Nicht einmal der Natur war zu trauen, auch wenn sie einem mit ihren festen Rhythmen Sand in die Augen zu streuen versuchte. Genausogut konnte es sein, dass es demnächst auf der ganzen Welt keine einzige Biene mehr gab. So war es auch den Dodos ergangen.
    »Fein, Gwen«, sagte er. »Dann setze ich sie morgen Nachmittag in den Zug.« Er erhob sich, überraschend flink für einen so großen Mann, und umarmte sie. Sie spürte seinen Atem an ihrem Hals.
    »Gibt es übrigens noch etwas Neues?«, stotterte sie, während sie einen Schritt zurücktrat. Aus irgendeinem Grund vermied sie es, Beas Namen auszusprechen.
    Er schüttelte den Kopf, setzte sich wieder und steckte ohne hinzusehen das Bündelchen Geldscheine in die Hosentasche.
    Plötzlich störte es sie, dass er sich nie nach ihren Problemen erkundigte. Es hatte im Moment wirklich den Anschein, als stünden alle ihre Planeten falsch. Sie war nicht nur davon ausgegangen, dass mit Babettes Rückkehr endlich alle Unsicherheit ein Ende hatte, sie hatte auch gedacht, nun wahrlich genug gelitten zu haben. Und jetzt auch noch das Theater mit der Imkerei. Man glaubte, das Buch der Schmerzen durchzuhaben, aber es fing glatt ein neues Kapitel an. »Ich geh dann mal«, sagte sie.
    »Willst du nicht lieber warten, bis der Feierabendverkehr vorüber ist? Hier, ich habe noch Tee.« Er langte nach seiner Thermoskanne. »Du machst dich nicht auf die lange Reise, ehe du nicht etwas getrunken hast. Komm, Gwen, lass dich mal umsorgen.«
    Alle naselang einen Blick auf seine Armbanduhr werfend, flitzte Laurens durch die langen, bunt gefliesten Gänge mit ihrem zeitlosen Geruch nach Kinderschweiß und Kreide. Wenn man zu einem Zehnminutengespräch zu spät kam, konnte man es auch gleich bleiben lassen. Im Vorübergehen erwiderte er über die Schulter hinweg hastig den Gruß eines Vaters, mitdem er früher eine Zeit lang den Schülerlotsen gemacht hatte. Die Schule erwartete eine Menge Einsatz von den Eltern, und das zu Recht. Hier war schließlich die Arena, in der sich das tägliche Leben ihrer Kinder abspielte. Hier schaute sich Niels alles bei den größeren Jungen ab. Hier lernte er mehr als zu Hause, bei seinem fossilen Vater, hier lernte er die Dinge, auf die es ankam, wenn man sieben war.
    Laurens stürmte in das Klassenzimmer seines Sohnes, beglückt, dass er es rechtzeitig geschafft hatte, oder vielleicht fühlte er sich auch so gut, weil hier alles so normal und alltäglich war: eine kristallklare Welt des Lesens und Schreibens und der Hefte, in die die Lehrerin mit Rotstift einen großen Schnörkel malte, wenn man es gut gemacht hatte. Hieran war nichts Dunkles oder Rätselhaftes.
    »Ha, Nicky«, sagte er dankbar.
    Die Lehrkraft seines Sohnes war ein etwas eulenhaftes, früh ältliches Mädchen mit nikotinfahlem Gesicht. Sie trug vorzugsweise Schottenröcke mitsamt der zugehörigen Nadel. Niels betete sie an, wie seinen täglichen Erzählungen anzumerken war. Seine Augen strahlten, wenn er schilderte, wie sie mit Kreide etwas an die Tafel schrieb: »Mit links, Pap, das ist doch ganz schwer, nicht?« Vermutlich war sie der Hauptgrund dafür gewesen, dass er sich zu Sinterklaas Haargel gewünscht hatte.
    »Tag, Laurens.« Sie gab ihm die Hand. »Und, kommst du noch einigermaßen mit allem zurecht?«
    Er nickte einfach. »Hier sieht es ja richtig festlich aus.«
    Das Klassenzimmer war weihnachtlich geschmückt. Von der Decke hingen goldfarben gespritzte Tannenzapfen herunter,

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