Der Ausflug
lauter Verzweiflung hatte er schließlich zu einer Harke gegriffen und war dem toten Laub zu Leibe gerückt. Nicht von ungefähr hatte er es so lange hinausgezögert, hier für Ordnung zu sorgen: Der Garten war immer ihre Domäne gewesen. Ein kleiner ummauerter Stadtgarten nach Norden war es, große Ehre konnte man damit nicht einlegen, aber sie hatte zu jedem Strauch, zujeder Pflanze eine innige Beziehung gehabt. »Nimm zum Beispiel den Flieder da, Laurens. Ein fürchterlicher Nichtsnutz eigentlich. Aber wenn er blüht, verzeihe ich ihm alles, jedes Frühjahr wieder.«
Und ausgerechnet dort, direkt unter ihrem Lieblingsstrauch, hatte er die Erde fein säuberlich freigeharkt und mit einer doppelten Reihe weißer Kieselsteinchen verziert vorgefunden. Es hatte ihm die Haare zu Berge stehen lassen. Nichts hindert mich, hier hin und wieder ein bisschen zu gärtnern, Laurens, wenn mir danach ist. Verstanden? Dort, wo ich deinetwegen jetzt bin, gibt es nun mal keinen Flieder und keine Jahreszeiten.
Sollten Niels und Toby je die Wahrheit erfahren, würden sie ihr Vertrauen in ihn niemals, aber auch niemals wiedergewinnen. Dann würden sie praktisch als Waisen aufwachsen, hart und verbittert. Sein kleines Krokodil und sein Großer: sein Allerliebstes auf der Welt.
Abends hatte er dann wieder mal zum Telefonhörer gegriffen, obwohl neuerdings immer der Anrufbeantworter eingeschaltet war und Leander nie zurückrief.
Als ihn jemand anstieß, der an die festlichen Weihnachtssonderhefte heran wollte, wurde Lauren bewusst, dass er immer noch im Zeitschriftenladen vor den Regalen stand. Schwerfällig setzte er sich in Bewegung. Am Ausgang hing eine Traube Folienballons. Mit einem faden Geschmack im Mund kaufte er einen mit Popeye für Toby und einen mit Superman für Niels.
An jeden öden langen Tag schloss sich auch noch ein öder langer Abend an. Es sei denn, sie hatte Besuch. Doch Beatrijs hatte längst feststellen müssen, dass nicht viele Menschen es bei all ihren eigenen Sorgen noch aufbrachten, Woche für Woche vorbeizukommen. Sie konnten sich nicht vorstellen,wie es war, zwei Monate lang ans Bett gefesselt zu sein. Das hatte sie selbst früher auch nicht gewusst. Also konnte sie es niemandem verübeln.
Sie schaute auf den Gipsbuckel ihres Knies und wünschte sich, sie könnte wieder mal die Zehen ihres linken Fußes sehen – ein vergeblicher Wunsch für jemanden, der im Streckverband dalag, aber sie musste an irgendetwas denken, um sich abzulenken. Huhu, Zehen, ich hab euch nicht vergessen. Sie hatte heute Abend eigentlich mit Gwen gerechnet, die kam nach Leanders wöchentlicher Psychometriesitzung fast jedes Mal vorbei. Er selbst war dann immer völlig erledigt und musste umgehend nach Hause, ohne noch zu einem Zwischenstopp bei ihr in der Klinik fähig zu sein. Aber offenbar hatte sich Gwen heute nicht noch eine weitere halbe Stunde aufopfern können. Hatte bestimmt was Wichtigeres oder Interessanteres zu tun.
Sie unterdrückte einen Seufzer. Zu blöd, dass immer die als Erste zur Zielscheibe ohnmächtigen Zorns wurden, die am treuesten waren und die größte Anteilnahme zeigten. Sie konnte froh sein, eine Freundin wie Gwen zu haben, und Leander auch. Er verspätete sich übrigens ganz schön mit seinem Anruf. Sie hatte gute Neuigkeiten und brannte darauf, sie ihm zu erzählen. Er würde sich freuen.
Auf dem Gang draußen schob jemand ein quietschendes Wägelchen. Ansonsten war es still.
Ruhelos änderte sie ihre Haltung, soweit das überhaupt ging. Die Rollen für die Aufhängung ihres Beins sirrten kurz. Was könnte sie sich jetzt wieder einfallen lassen, um sich zu beschäftigen? Alles um sie herum war gleichermaßen uninspirierend. Warum musste in so einer Klinik bloß alles so hässlich sein? Dieses deprimierende Resopal, diese saft- und kraftlosen Vorhänge, die beiden Stühle mit ihrem Skaipolster, die für den Fall, dass man Besuch bekam, wahllos ins Zimmer geklatschtworden waren – es gab nichts, woran sich das Auge erfreuen konnte. Lediglich die Karten, die Frank mit eiserner Regelmäßigkeit schickte, brachten etwas Farbe ins Zimmer und die Kinderzeichnungen, die an der Pinnwand gegenüber von ihrem Bett hingen, unter der Schnur aus Krepppapierröschen, die Marleen und Marise gemacht hatten. Eine ungewöhnlich poetische Arbeit der beiden, aber sie hatten ja auch etwas gutzumachen, wie Leander stets sagte.
Es war meine eigene Schuld, dachte sie jetzt. Wenn ich nicht in Panik geraten wäre und Laurens
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