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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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und auf der Fensterbank stand eine lange Reihe weihnachtlicher Bastelarbeiten: Kerzen aus Pappe mit einer Flamme aus rotem Karton. Sie folgte seinem Blick und zeigte auf das Exemplar, das mit silbernen Sternchen beklebt war: »Die daist von Niels. Er macht immer etwas Originelles daraus. Er hat einfach eine tolle Fantasie.«
    Dass sich die wichtigste Frau im Leben seines Sohnes lobend über ihn äußerte, lenkte Laurens schlagartig ab. Gerade war ihm nämlich siedend heiß eingefallen, dass er zu Hause noch gar nicht für Lichter oder Kugeln gesorgt hatte. »Er geht gern zur Schule«, sagte er eilfertig. »Er ist ganz vernarrt in seine Lehrerin.« Er dachte: Ich kaufe nachher gleich eine Libelle , da steht bestimmt drin, wie man es zu Hause gemütlich macht.
    Sie lachte. »Und ich in ihn. Solange er nur nicht versucht, mich zu entführen.« Das war ihr Standardscherz.
    Nach den Herbstferien hatte Niels es selbst in der Schule erzählt, im Rundgespräch. Wir haben meine Tante gekidnappt. Mit der Geschichte hatte er große Anerkennung geerntet. Er war als Held der Klasse nach Hause gekommen, mit breitbeinigem Gang und triumphierendem Blick. »Sie fanden das cool, Papa.« Wohl nicht dazugesagt, Niels, wie die Folgen für deine Tante aussehen, hm? Aber diesen Kommentar hatte er sich wohlweislich verkniffen. Er hatte dem Kerlchen schon gehörig genug die Leviten gelesen. Man konnte seinem Kind nicht ewig feurige Kohlen aufs Haupt sammeln, weil es bei einem Spiel einmal zu weit gegangen war. Man musste dafür sorgen, dass man eine Vertrauensbasis bewahrte. War man als Eltern zu zweit, konnte man sich in der Rolle des Bösen abwechseln. Allein ging das nicht.
    »Ist etwas?« Aufmerksam musterte Nicky ihn. »Etwas, was ich über Niels wissen sollte, meine ich?«
    Er zögerte. Ihm war immer noch nicht wohl dabei. Fand sie es wirklich normal, wenn man jemanden fesselte und einsperrte? Aber er wagte das Thema nicht weiter anzuschneiden. Er wollte um keinen Preis riskieren, dass er Niels, der so in sie verliebt war, bei ihr in Diskredit brachte.
    Sie sagte: »Ich finde, dass er sich wacker schlägt, in Anbetrachtder Umstände. Er arbeitet gut mit. Er hat keine Konzentrationsprobleme. Im Lesen ist er sicher einer der Besten, und die kleineren Probleme im Rechnen sind langsam überwunden. Das Einzige, was ich ihm anmerke, ist, dass er sehr dazu neigt, sich in sich selbst zurückzuziehen. Ich weiß nicht immer, wie ich das anpacken soll.« Unbefangen sah sie ihn an, als sei er der Experte. »Er ist so ein kleiner Träumer. Das ist in Ordnung, aber isolieren sollte er sich natürlich nicht. Also versuche ich ihn hin und wieder dazu zu stimulieren, etwas mit anderen zusammen zu machen. Bist du damit einverstanden, oder wäre es dir lieber, wenn ich ihn in Ruhe lasse?«
    Er schlug die Beine übereinander und blickte an die Decke. »Stimulieren besser.«
    »Kommen oft Freunde zum Spielen zu ihm nach Hause? Ach nein, er geht natürlich zur nachschulischen Betreuung. Wann bist du dort eigentlich das letzte Mal zu einem Gespräch gewesen?«
    »Du kannst es ruhig offen sagen. Hast du das Gefühl, dass mit Niels irgendwas nicht stimmt? Muss ich mit ihm zum Psychiater oder so?«
    »Aber nein«, sagte sie etwas zu rasch, »er hat einen großen Kummer zu verarbeiten und ist gerade alt genug, sich dessen bewusst zu sein. Nach einem Todesfall geht es in der ersten Zeit ja oft drunter und drüber. Selbst als Erwachsener weiß man dann nicht gleich, was man eigentlich genau empfindet. Und für ein Kind... Ich erinnere mich noch gut daran, wie das war, als meine Oma starb.« Sie lächelte ihn matt an.
    Er kam sich grob und unliebenswürdig vor, aber er brachte es einfach nicht fertig, nachzufragen, was das für Erinnerungen waren. Omas starben nun mal, das wusste man vorher.
    »Es gibt heutzutage spezielle Trauergruppen für Kinder. Soll ich mich mal danach erkundigen?«
    Niels in einer Trauergruppe. Dann würde Toby, hüpfendvor Begeisterung oder vor Wut, auch in eine Trauergruppe wollen. »Ich würde es mir lieber erst durch den Kopf gehen lassen.«
    »Natürlich. Aber um Hilfe bitten muss nicht heißen, dass man selbst versagt hat.«
    »Gibt es sonst noch etwas zu besprechen?«
    Sie dachte kurz nach. »Neulich fragte er mich... Es war gerade so viel los, als er plötzlich vor mir stand, da habe ich leider nicht richtig zugehört.«
    »Was hatte er denn?«
    Sie senkte den Kopf. »Nun, er hat mich gefragt, ob ich mit ihm auf den Friedhof gehen

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