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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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würde.«
    Wollte Niels seiner Lehrerin Veronicas Grab zeigen? Was konnte das bedeuten? Aber vielleicht war es ja ganz normal. Vielleicht war es sogar ein gutes Zeichen. Hier liegt meine Mama begraben. Sie ist tot.
    Es klopfte an der Tür. »Da ist schon der Nächste.« Nicky erhob sich. »Ich rufe dich im Laufe der Woche noch einmal an, ja?«
    Ein wenig bedeppert stand er kurz darauf wieder vor der Schule. Es schneite nicht mehr, aber es war nasskalt. Das Straßenpflaster glänzte im Licht der Laternen. Er schlug den Kragen hoch und stieg auf sein Fahrrad. In fünf Minuten konnte er zu Hause sein und die Babysitterin ablösen. Doch da erinnerte er sich an seinen vorhin gefassten Vorsatz. Also schnell noch in die Stadt, in einen Zeitschriftenladen. Fachliteratur über Weihnachten.
    Kurz darauf stand er vor Regalen voller Zeitschriften mit stimmungsvollen Titelblättern. Kerzenflammen leuchteten ihm entgegen, Kaminfeuer prasselten, mit Pulverschnee bestäubte Christbaumkugeln prunkten in kunstvollen Arrangements aus Tannenzweigen. Er begann, die Hefte systematisch durchzublättern. Weiß lag dieses Jahr im Trend. Mit Silberkugelnin einer Glasschale erzielte man einen ungewöhnlichen, festlichen Effekt. Bei heruntergetropftem Kerzenwachs immer Packpapier und ein lauwarmes Bügeleisen verwenden. Dieses Jahr mal nicht einen großen, sondern zwölf kleine Weihnachtssterne nehmen und diese in einen Kranz aus Flechten einarbeiten. Ein mit selbst aufgezogenen Perlenschnüren behängter Baum. Sieh an, das wär vielleicht was für Toby.
    Zwei kichernde Mädchen griffen neben ihm nach der Yes . Er sah sich kurz durch ihre Augen: ein vergrämter, ungepflegter Mann in nassem Regenmantel, vertieft in »die Extratipps für das besondere vorweihnachtliche Ambiente«. Andere Männer kauften gerade angesagte Magazine wie die Nieuwe Revu oder die Quote oder auch den Playboy – natürlich nur wegen des sensationellen Interviews des Monats. Er wandte sich etwas ab und las weiter.
    Die festlich gedeckte Weihnachtstafel. Zusammenstellung des Festessens. Jetzt ging es zur Sache. Gegrillte Putenmedaillons mit Olivenbutter. Hasenrückenfilet mit Preiselbeersoße. In Fenchel geschmorter Kaninchenschlegel. Büffelmozzarella mit Pistou. Hausgemachte Geflügelleberpastete. Auberginetürmchen mit Petersiliensoße. Duftende Muschelpäckchen. Austernpilzstrudel mit Nüssen. Tomaten-Ricotta-Timbalen. Kartoffelsalat mit geräuchertem Geflügelfleisch und Korianderdressing. Würzige Makrelenmousse. Pikante Apfelbeignets mit Ziegenkäse. Lasagne mit Meeresfrüchten und Wermutsoße. Cidresoße. Krebssuppe mit Meerrettichsahne. Cremiger Minzrisotto. Putenrouladen mit selbst gemachtem Pesto. Portobello-Pilze mit Balsamicosirup und Roquefort.
    Portobello-Pilze mit Balsamicosirup und Roquefort: Das gab ihm irgendwie den Rest. Er legte die Zeitschrift zurück. Sämtliche Portobello-Pilze der Welt konnten nicht ungeschehen machen, was er seinen Kindern angetan hatte.
    Mit einem irritierten »Entschuldigung, darf ich mal?« versuchte sich jemand an ihm vorbei zum Regal durchzuquetschen. Was versuchte er sich hier eigentlich weiszumachen? Dass es genügte, wenn er ein paar Christbaumkugeln kaufte und ein Essen mit sechs Gängen auf den Tisch zauberte? Durch sein Zutun dachten sie in der Schule, Niels sei reif für den Psychiater, und Toby würde es gewiss nicht viel besser ergehen. Er hatte ihnen ihre Mutter genommen. Zumindest die aus Fleisch und Blut.
    Zugegeben, es vergingen mitunter Wochen, ohne dass sich Veronica bemerkbar machte. Doch immer gerade dann, wenn er erleichtert dachte, dass er sich alles nur eingebildet hatte, schien sie wieder mal kurz hereingeschaut zu haben. Sie war nach ihrem Tod genauso ungreifbar und schwer festzunageln wie zu ihren Lebzeiten. Ganz sicher war er sich freilich nie, und das machte es besonders nervenaufreibend. Manchmal zog er die falschen Schlüsse, und es gab hinterher eine vollkommen logische Erklärung für dies oder das. Aber es konnte doch genausogut auch andersherum sein. Wie sollte er noch auf sein eigenes Urteil vertrauen?
    Neulich hatte es wieder so einen Moment gegeben, an einem regnerischen Nachmittag. Niels und Toby hatten sich um irgendwas gestritten, einen Bleistift oder ein Auto: Viel Wind um nichts. Da war es ihm zu viel geworden. Er war nach draußen gelaufen und mit den Händen in den Taschen eine Weile durch den verwahrlosten Garten getigert. Sehnlichst hatte er sich eine Zigarette gewünscht. Aus

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