Der Außenseiter
Haus?«
»Nein, das haben Rachel und ich ihnen abge-kauft, weil sie gern nach Cornwall wollten.« Er gab ihr einen kurzen Überblick über die Geschicke der Familie seit 1980. »Dad ist eigentlich im Ruhestand, aber er arbeitet als eine Art Gelegen-heitsgärtner, weil ihm sonst zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Und Mam hat vor zwei Jahren die Wiedergeborenen Christen für sich entdeckt. Sie ist Gemeindearbeiterin oder so was – besucht alte Leute, die das Haus nicht mehr verlassen können.
Und jeden Sonntag ist sie in der Kirche. Dad hat überhaupt kein Verständnis dafür und sagt dauernd, sie müsse ja eine Menge auf dem Gewissen haben.«
Erst als er sah, wie unversehens das Lächeln in 391
Louises Gesicht erlosch, begann er, sich über seine letzten Worte Gedanken zu machen. Er hatte seinen Vater mehrmals Bemerkungen in diesem Sinn machen hören, aber er hatte stets angenommen, sie seien scherzhaft gemeint. Er wusste, wie sehr es seinem Vater gegen den Strich ging, dass seine Frau, die sich immer nach ihm gerichtet hatte, plötzlich ein Eigenleben entwickelte, von dem er ausgeschlossen war, aber er hatte die Sticheleien nie ernst genommen.
Louise sah wieder zu ihrer Kaffeetasse hinunter.
»Hat sie denn Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben?«, fragte er gespannt.
»Woher soll ich das wissen?«, gab sie heftig zurück. »Ich habe seit Jahren nichts mehr mit ihr zu tun gehabt.«
»Warum machst du dann so ein schuldbewusstes
Gesicht?«
Sie antwortete nicht.
Er gab Zucker in seinen Kaffee und rührte um.
»Interessiert es dich nicht, wie ich dich aufgestöbert habe?«
»Nicht besonders, aber du wirst es mir ja so oder so erzählen. Du hast dich doch immer schon dran aufgegeilt, allen zu beweisen, wie schlau du bist.
Du warst eine echte Nervensäge, Billy. Die Alten brauchten nur mit den Fingern zu schnalzen, und schon bist du wieder angedackelt gekommen und hast dich in mein Leben eingemischt … Nicht ein 392
einziges Mal hast du dich gefragt, ob ich überhaupt gefunden werden will.«
»Wir haben dich doch prompt aus den Augen verloren«, entgegnete er nüchtern. »Wolltest du das wirklich? Ich kann mir’s nicht vorstellen. Du konntest das Geld, das ich jedes Mal mitgebracht habe, doch gar nicht schnell genug einstecken. Du hast in zwei Jahren mehr als tausend Pfund kassiert … aber es ist dir nicht im Traum eingefallen, mal vorbeizuschauen und dich zu bedanken. Sie wollten doch nicht mehr, als dich hin und wieder sehen und wissen, dass du lebst.« Er trank von seinem Kaffee. »Du warst doch diejenige, die sich dran aufgegeilt hat, dass ich dir hinterhergelaufen bin. Das hat dir das Gefühl gegeben, dass du wichtig bist. Aus dem gleichen Grund lässt du dich von Männern schlagen – weil du Aufmerksamkeit haben willst.«
»Hör auf mit dem Mist«, sagte sie scharf und bitter. »Ich bin nicht in Stimmung. Ich hab bis vor drei Jahren gefixt und war nur noch ein Zombie.«
Sie hob den Blick. »Na los schon, erzähl mir, wie du mich gefunden hast. Ich halt’s ja vor Spannung kaum noch aus.«
»Vor zehn Tagen kreuzte bei mir eine Stadträtin auf. Sie hieß George Gardener …«
Jonathan zog ein Taschentuch heraus und schnäuz-te sich. Er war immer noch zum Erbarmen dünn, 393
Hände und Unterarme stießen knochig aus seinen Hemdsärmeln hervor, und George fragte sich, ob er sich je über den herumgestoßenen Halbwüchsigen von damals hinausentwickelt hatte. Roy Trents abschätzige Bemerkungen über Howard Stamps
»zerrupften kleinen Bart« und seine »Hühnerbrust«
fielen ihr ein. Vielleicht hatte Roy dieselben Ähnlichkeiten wie sie zwischen Howard und Jonathan entdeckt. Für seine Versuche, Jonathan zu ver-scheuchen, wäre das auf jeden Fall eine Erklärung.
George war ziemlich sicher, dass Howard unentwegt Pöbeleien und Handgreiflichkeiten über sich hatte ergehen lassen müssen. Sie fragte sich, woher er den Mut genommen hatte, überhaupt noch einen Schritt aus dem Haus zu machen.
»Was könnte ich ihr denn sagen?«, fragte Jonathan. »Tut mir Leid? Es wird nie wieder vorkommen? Das wäre nicht wahr, George. Wenn ihr Vater sie zwanzigmal ohrfeigte, würde ich immer noch davonlaufen. Ich bin wie meine Mutter. Egal, wem der Kiefer gebrochen wird, Hauptsache, mich trifft’s nicht – und wenn’s Emma ist. Es stimmt alles, was sie mir vorgeworfen hat. Ich bin genau wie meine Mutter.« Er holte zitternd Atem. »Und ich habe meine Mutter gehasst .«
»Und darum hasst Emma Sie«,
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