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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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stellte George fest.
    »Ich nehme es ihr nicht übel.«
    »Nur ist das die reine Übertragung, Jon – eine verzerrte Sicht auf die Welt, wo vergangene Bezie-394

    hungen alle neuen vergiften.« Sie lachte kurz auf.
    »Mal anders gesagt – wenn Sie sich dafür entschieden haben, Ihre Mutter zu spielen, welche Rolle haben Sie dann Emma gegeben? Was sollte sie in dieser Beziehung sein?«
    »Freundin … Partnerin … Geliebte. Wir hatten keine Probleme, bis ihr Vater auf der Bildfläche erschien.«
    »Sind Sie da sicher?«
    Jonathan hatte einen alten Mann beobachtet, der ihnen auf dem Gehweg entgegenkam. Er hatte einen kleinen Yorkshire-Terrier an der Leine, und jedes Mal, wenn der Hund irgendwo schnuppern wollte, riss er ihn dort ungeduldig weg. Es war offensichtlich, dass das Tier ihm auf die Nerven ging, vielleicht weil es seiner Frau gehörte, vielleicht auch weil er sich wegen des roten Schleifchens auf seinem Kopf genierte, dieses ruckhafte Reißen an der Leine jedenfalls war grausam.
    »… du kannst so hart sein, Jon. Ich bin nicht für alles zuständig … und ich bin auch nicht verantwortlich dafür, wenn bei dir was schief läuft …«
    Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf George. »Ich weiß es nicht«, sagte er aufrichtig.
    »Ich war vorher nie einem Menschen so nahe. Ich habe sie manchmal enttäuscht, aber es war nie meine Absicht. Wenn es passierte, wurden mir meistens die Leviten gelesen.«
    George war fasziniert. »Sie haben sie also zum 395

    Kindermädchen gemacht? Sehr interessant. Da wundert’s mich nicht, dass sie ihre Sachen gepackt hat. Die Frauen von heute wollen nicht mal für ihre eigenen Kinder das Kindermädchen sein, und schon gar nicht für ihre Ehemänner.«
    »Ich habe sie nicht dazu gemacht«, widersprach Jonathan gereizt. »Sie hat sich vielleicht manchmal so verhalten, aber nicht, weil ich es so wollte. Ich wollte eine gleichwertige Partnerin.«
    »Dann geben Sie aber offenbar verwirrende Signale. Wir alle werden gemäß den Reaktionen behandelt, die wir hervorrufen, Jon. Ich kenne Sie kaum, aber es ist offensichtlich, dass Ihnen gegen-
    über sich jeder berufen fühlt, das Kindermädchen zu spielen – Emma, Andrew, ich –, sogar Priscilla Fletcher hat sich so verhalten, während sie Ihnen die Brieftasche stahl. Und ich vermute, die Sekre-tärinnen an der Uni machen es nicht anders.« Sie zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. »Das ist zwar für das kindliche Ich wunderbar – es heißt, wenn was schief geht, kann man immer dem Kindermädchen die Schuld geben –, aber mit einer reifen Beziehung zwischen gleichwertigen Erwachsenen unvereinbar.«
    Er wandte sich ärgerlich ab, um den alten Mann zu beobachten. »Ich habe Sie nicht um eine Analyse gebeten«, sagte er mühsam beherrscht. »Ich habe lediglich gesagt, dass ich nicht mit Roy Trent sprechen möchte. Wenn Sie das respektiert hätten, wäre 396

    uns dieses Gespräch erspart geblieben.« Er hielt kurz inne, als überlegte er, ob es klug sei, mehr zu sagen, dann brach es heftig aus ihm heraus: »Sie sind genau wie Emma – Sie können einfach nicht aufhören –, ständig geht es pick, pick, pick – und wozu? Damit ich mich mit so einem gottverdamm-ten Mistkerl anlege, den ich kaum kenne, nur weil es Ihnen nicht gefällt, wie er Sie behandelt.«
    »Jeder von uns lässt sich in seinen Reaktionen mehr oder weniger von Übertragungen bestimmen«, entgegnete George milde. »Mir hat mein Vater das Leben verpfuscht.«
    Jonathan sah sie argwöhnisch an. »Das hatte ich aber anders verstanden. Sie reden immer so, als hätten Sie ihn sehr gern gehabt.«
    »Eben. Kein anderer Mann konnte ihm das Wasser reichen. Was glauben Sie, warum ich nie geheiratet habe?«
    Billys Bericht über seine Gespräche mit George Gardener hatte Louise sichtlich mitgenommen. Ihre Hände zitterten so stark, dass der Kaffee über-schwappte, als sie die Tasse zum Mund führen wollte. »Wieso hast du ihr geraten, sich an die Trevelyans zu wenden, wenn du von Anfang an gewusst hast, dass ich Priscilla Fletcher bin?«, fragte sie ihn aufgebracht.
    »Weil sie das ohnehin getan hätte – vielleicht nicht gleich, aber früher oder später ganz bestimmt.«
    397

    Er zündete eine Zigarette an und hielt sie ihr hin.
    »Ich fand das ziemlich clever von mir«, sagte er so lügnerisch wie sie. »Wie wär’s mit einem kleinen Dankeschön?«
    Tränen glitzerten an ihren Wimpern, und sie steckte sich mit unsicherer Hand die Zigarette zwischen die Lippen.

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